„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7,20)

Offener Brief einer ungarischen Gläubigen an Bischof Fellay

Exzellenz!

Jene Säuberungsaktionen, die seit zwei Jahren – von Australien bis Kolumbien, von Süd-Korea bis Paraguay – die Priesterbruderschaft St. Pius X. von innen erschüttern, haben nun auch unsere Kapelle erreicht. In den vergangenen zwei Jahren haben sich in dieser Angelegenheit zahlreiche Priester, Theologen und Kirchenmänner an Sie gewendet und haben Ihnen ihre sachkundigen Ansichten vorgetragen. Ich bin zwar nur ein Laie, aber immerhin eine Gläubige, die nur deswegen zu der Tradition gelangen konnte, weil sie „ihren Verstand benutzt hat, sich geschult hat, viel gelesen hat, sich ständig informiert hat“, mit einem Wort, die Wahrheit gesucht hat, als das größte Gut und den Wegweiser zum wahren Glauben: Weil dies – wie P. Altamira neulich seinen Gläubigen erklärte – „das Gleiche ist, wie Christus predigen und verteidigen, Gott, Unseren Herrn, der gesagt hat: »Ich bin die Wahrheit, der Weg und das Leben.«“
     Ich habe die Wahrheit nicht nur gesucht, sondern wollte sie auch – nachdem ich sie vor 19 Jahren bei der Priesterbruderschaft St. Pius X. gefunden habe – treu bewahren. Also betrachtete ich es weiterhin als meine Aufgabe, mich zu informieren, das Denken zu üben und meinen gesunden Verstand zu gebrauchen.

Vor 19 Jahren waren es vor allem die Ordnung und die Wahrheit, die mich bei der Priesterbruderschaft St. Pius X. am meisten beeindruckt und überzeugt haben. Diese beiden können nur zusammen, eine mit Hilfe der anderen, existieren, d. h. die Wahrheit und die Gerechtigkeit können nur in der Ordnung funktionieren! Deswegen musste ich mit großer Traurigkeit feststellen, dass mit der Zeit von diesen zwei Grundsteinen der eine, nämlich die Ordnung, immer mehr verschwindet und auf ihren Platz der liberale Geist und die überflüssige und schädliche Nachgiebigkeit treten, die im Grunde nichts anderes sind, als die Nichtbeachtung und schließlich die Leugnung der Folge der Erbsünde, d. h. die Neigung der gefallenen menschlichen Natur zum Sündigen. Dies wiederum bedeutet nichts anderes, als das zunächst langsame, dann immer schnellere Eindringen modernistischer Ansichten in die Bruderschaft. Und mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der sich die Ordnung und der Anspruch auf Ordnung aufgelöst haben, verschwanden auch die Wahrheit und der Anspruch auf Wahrheit.
     Ihren Platz haben das Verlangen nach einem bedingungslosen, blinden Gehorsam, die „Liebe“ (der Liebling der Modernisten) und die sanfte Nachsichtigkeit gegenüber solchen Personen eingenommen, die die Ordnung offen und bewusst missachten. Also genau jene Elemente, wonach die Modernisten verlangen, und die sie für die ersten und wichtigsten Bestandteile des katholischen Glaubens halten. Diese Tendenz hat schon viel früher begonnen, früher als die offene Aufgabe der Wahrheit, d. h. früher als der Anfang der Gespräche mit dem apostatischen Rom. Ja, meiner Meinung nach konnte letzteres nur eintreten, weil die Ordnung ins Wanken geriet und dann vollkommen verschwand. Also konnte die Aufgabe der Verteidigung der Wahrheit nur als die logische, unvermeidbare Folge der Aufgabe der Ordnung erscheinen.
     Als Laie gehört es nicht zu meinen Aufgaben diejenigen Argumente aufzuzählen, die gegen die Einigung mit dem modernen Rom und gegen Ihre für dieses Ziel unternommenen Schritte sprechen, obendrein haben dies im Internet schon zahlreiche Personen getan. Als Laie möchte ich lieber darauf eingehen, welch übergroßen, geistlich zerstörerischen Eindruck die Handlungen der Priester, vor allem der Oberen der Priesterbruderschaft St. Pius X. auf uns Gläubige, und besonders auf diejenigen gemacht haben, die aus Prinzip und nicht aus der Erwartung von irgendwelchen Vorteilen oder aus Nostalgie der Lehre der zweitausend Jahre alten Kirche anhängen.

Ich kann mich gut erinnern, wie wertvoll die theologischen Artikel, Erklärungen, Predigten für mich waren, die ich nach dem Kennenlernen der Piusbruderschaft in ihren Veröffentlichungen lesen konnte, die es möglich machten, dass man unter den Neuerungen, die aus Rom kamen, für sich Ordnung schaffen konnte. Diese Veröffentlichungen haben den richtigen Weg deutlich gezeigt, besonders jenen Weg, den Erzbischof Lefebvre als den Wichtigsten hervorgehoben hat, nämlich die Art und Weise, wie wir unter allen Umständen unseren Glauben bewahren können.
     Wenn ich zum Beispiel die Veröffentlichungen, die im deutschen Mitteilungsblatt am Ende der 90 Jahren erschienen sind, mit jenen vergleiche, die heute auf www.pius.info und im Mitteilungsblatt veröffentlicht werden, kann ich nur in Weinen ausbrechen! Immer wenn man denkt, dass es nicht noch weiter nach unten gehen kann, dass man sich Rom nicht noch mehr unterwerfen kann, dann zeigen die Artikel der nächsten Tage, dass dies doch möglich ist, weil der Tiefpunkt des Abgrundes noch immer nicht erreicht ist. Alles, was ich früher bei der Priesterbruderschaft St. Pius X. gelernt habe, wird in den verschiedenen heutigen Publikationen Tag für Tag verhöhnt!
     Erzbischof Lefebvre hat die traditionalistischen Gruppierungen, die sich mit Rom so oder so wieder vereinten, Jahrzehnte lang deswegen verurteilt, und später haben Sie selbst jahrelang die s. g. Ecclesia Dei-Gemeinschaften deswegen angegriffen, weil sie zwar die wahre katholische Messe gefeiert, den wahren Katechismus gelehrt haben, aber auf die Kritik, d. h. auf die Wahrheit und auf die Verteidigung des katholischen Glaubens verzichtet haben. Und die Priester der Bruderschaft haben uns Gläubigen – sehr richtig – eingeprägt, dass diese zwei Prinzipien, nämlich das Praktizieren der katholischen Religion und die Verteidigung der katholischen Religion untrennbar zusammengehören! Ausgerechnet jetzt aber, als in der offiziellen Kirche Tag für Tag solche Dinge passieren, die sich bis jetzt niemand in seinen schlimmsten Träumen hätte vorstellen können, schweigen Sie nicht nur, sondern berichten Sie auf solche Art über diese Ereignisse, wie dies nicht einmal die liberalsten Medien tun. Zum Bespiel nennt allein die Homepage www.pius.info Herrn Bergoglio beharrlich mit zwei Namen: Heiliger Vater, Papst Franziskus.

Die Abschaffung der Ordnung, die Aufgabe des Kampfes für die Glaubensverteidigung, für die wahre katholische Religion, für das Reich Jesu Christi, die Verwässerung bzw. das Verschweigen der Lehre, die grobe Verletzung der Vorschriften für das Beichten und die Kommunion (bis hin zum offenen Sakrileg) haben bei den glaubenstreuen Gläubigen tiefe Traurigkeit, und in den einzelnen Gemeinden ernsthafte negative Veränderungen verursacht.
     Vor zwei Jahren ist es aber offensichtlich geworden, dass all dies kaum ins Gewicht fällt im Vergleich mit dem Schaden, den Ihr jetziges Verhalten und das Benehmen der Mitglieder Ihres Vorstandes verursacht haben. Wir sind in diesen zwei Jahren Augenzeugen dessen geworden, dass die Zerstörungswut, mit der Sie und Ihre „Jünger“ sich gegen diejenigen Pius-Priester wenden, die mit den oben genannten Erscheinungen nicht oder nicht ganz einverstanden sind, mit der Zeit nicht weniger wird. Jene Unmenschlichkeit, mit der Sie jene Priester verfolgen und bestrafen, die es wagen oder gewagt haben Ihnen zu widersprechen, hat Ausmaße erreicht, die wir selbst in den Ländern, die einst unter den Sowjets schmachteten, nicht hatten.
     Man muss P. Pinaud Recht geben, – besonders wenn man in Betracht zieht, was Sie Benedikt XVI. in Ihrem Brief von 17. Juni 2012 geschrieben haben, – dass man diese massive Unmenschlichkeit nicht anders erklären kann, als nur so, dass Sie Ihren irrsinnigen Plan nicht einmal unter Herrn Bergoglio aufgegeben haben; Sie haben geschrieben: „Leider wird bei der derzeitigen Lage der Bruderschaft die neue Erklärung nicht durchzusetzen sein. [...] ich habe mich in diese Richtung gehend verpflichtet [praktisches Abkommen ohne lehrmäßiges Abkommen], trotz des ziemlich starken Widerstandes in den Reihen der Bruderschaft und um den Preis großer Unruhe. Und ich habe die feste Absicht, weiterhin alle Anstrengungen zu unternehmen, um auf diesem Weg voranzuschreiten, damit die nötigen Klarstellungen erfolgen.“

Ein anderer Grund Ihres Handelns kann nur irgendein mir unerklärliches Unbehagen Ihrerseits sein, da jene unbeugsame Konsequenz, mit der Sie diejenigen verfolgen, die Ihnen widersprechen, ist in der Geschichte nur bei (wahnsinnigen) Diktatoren vorzufinden – und ich habe fast vergessen, in unseren Tagen bei Herrn Bergoglio. Dies nur anzusehen ist schon grauenerregend, geschweige denn dies zu erleben. Wie können Sie Menschen, die sogar nicht mehr jung sind, ohne einen Pfennig auf die Straße setzen? Wie sind Sie dazu fähig, geweihte Priester, Ihre Mitbrüder, zu demütigen, und sie dadurch bloßzustellen, in dem Sie mit geheimdienstlichen Methoden in ihre Privatsphäre eindringen? Und Sie verfolgen nicht nur solche Priester, die ihre Meinung öffentlich geäußert haben, d. h. sie im Internet verbreitet, in ihren Predigten oder in Gesprächen erklärt haben, sondern auch diejenigen, die – wegen der vor ihren Augen abspielenden abschreckenden Beispiele – sich nicht einmal wagen etwas gegen Sie und Ihre Pläne unter vier Augen zu sagen! Wie können Sie diese Priester – weil Sie nichts gegen sie in der Hand haben, und Sie sie so nicht vor Ihre scheinheilige Justiz zitieren können, – in eine solche verzweifelte Lage bringen, – zum Beispiel sie von Gläubigen seelisch und körperlich insultieren lassen, – dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, als die Bruderschaft von sich aus zu verlassen?

Was denken Sie, Exzellenz, welche Wirkung diese Hass-Kampagne auf die gutmütigen Menschen hat? Auf diejenigen, die wegen der katholischen Gesinnung die Messen der Priesterbruderschaft St. Pius X. besuchen und besucht haben? Was denken Sie, wie kann man so an die Heiligkeit, die übernatürliche Kraft der wahren katholischen Messe glauben, ihr vertrauen, sie akzeptieren oder sie anderen erklären, wenn man sieht, dass solche Priester, die mindestens seit 30 Jahren jeden Tag diese Messe zelebrieren, sich zu so grausamen Menschen entwickeln können!

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7,20), hat Unser Herr Jesus Christus gelehrt. Mit welcher Gesinnung, mit was für einer Intention feiern Sie und die anderen Oberen Ihrer Gemeinschaft – die ihre Ämter nach den von Ihnen durchgeführten Säuberungen eingenommen haben, und für jetzt (nach dem Muster der Lenin-Knaben) zu „Fellay-Knaben“ wurden – die heilige Messe, dass sie fortdauernd diese Früchte der Niederträchtigkeit, des Verrates und des Hasses hervorbringen?

Adrien Loubier hat seinen offenen Brief an Sie mit dieser Warnung abgeschlossen: „Wenn Sie dieses Werk verraten, werden sich am Tage des Gerichts alle Wohltäter der Bruderschaft gegen Sie erheben und vor Gott Gerechtigkeit gegen Sie einfordern.“
     Ich beende meinen Brief – im Namen jener gutgläubigen Laien und Gläubigen, die auf die wahre Katholizität der Priesterbruderschaft St. Pius X. vertraut haben und jetzt schmachvoll verraten werden – mit den Worten: Die wahren katholischen Gläubigen der Priesterbruderschaft St. Pius X. werden Sie wegen der von Ihnen und von Ihren Freunden verübten, ihren Glauben gefährdenden und schwächenden und viele von ihnen verratenden Taten einmal im Jenseits anklagen!


Lajosmizse, 15. Januar 2014


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