DEM  ZIELE  ENTGEGEN
Lukas – Das Evangelium des Heiligen Lukas in theologischer und heilsgeschichtlicher Schau
Von Josef Dillersberger
1941

DER EINGANG IN DAS REICH UND IN JERUSALEM (Lk 18, 9-19, 28)

RECHTFERTIGUNG

„Zwei Menschen stiegen hinauf in den Tempel, zu beten, der eine: Pharisäer, der andere: Zöllner ...(Lk 18, 9-14) - (Evangelium vom 02. August 2015)

Nur wenige Erklärer (Lagrange z. B.) sehen hier einen bedeutungsvollen Einschnitt. Gewöhnlich läßt man sich von der Tatfache zu viel einnehmen, daß auch in dieser Perikope vom Beten die Rede ist, wie in der letzten, und meint dann, die beiden gehörten schon deshalb naher zusammen.

Indessen geht es hier nicht um das Beten, sondern wie der Schluß zeigt, um die Rechtfertigung des Menschen, und der Blick auf die große Zukunft mit dem Kommen des Reiches ist plötzlich aufgegeben, um auf etwas ganz anderes zu verweisen. Wenn nicht alles trügt, haben wir in dieser Parabel die entscheidende Wende zu erkennen, die der Herr nunmehr am Ende seiner Wanderung vornimmt. Sie läßt sich in die ganz einfache Formel bringen: Das Reich kommt noch lange nicht – davon war im Vorausgehenden deutlich genüg die Rede – aber für den Jünger Christi gibt es jetzt etwas ganz anderes: es kann ein jeder in verhältnismäßig kurzer Zeit – in den Himmel kommen.
     Während also bisher immer das Reich als Ganzes und als großes Ziel für die ganze Gemeinschaft der Jünger, für das ganze Volk Seiner Auserwählten, der Hauptgegenstand der Belehrungen war, ist jetzt unverkennbar mehr und mehr der einzelne angesprochen. Für den einzelnen entscheidet sich das Schicksal schneller, da ist jenes „Er wird ihnen Recht verschaffen in Schnelligkeit“ (Lk 18,8) ganz anders rasch und wirklich da, als für die Gemeinschaft. Und die Wende bedeutet diese Parabel.

In überaus feiner Weise spielt das Gleichnis am Anfang auf die nunmehr beginnende letzte Epoche im Leben des Herrn selbst an. Und das ist der eigentlich entscheidende Grund, warum man hier den Einschnitt machen muß, eine neue Teilgruppe zu beginnen. Denn bald nachher ist von dem „Hinaufsteigen“, des Menschensohnes selbst die Rede. In diesem Seinem Hinaufsteigen entscheidet sich das Schicksal des Menschen überhaupt. So gibt denn dieses Gleichnis ein Vorspiel des Großen, was nachher folgt. Denn indem beide in den Tempel hinaufstiegen, stiegen auch sie der Entscheidung ihres Schicksals entgegen – denn „herabstieg“ dann der eine „gerechtfertigt“, der andere nicht.

Die unvergleichliche Meisterschaft in der Schilderung dieser beiden Menschen – mit so wenig Worten – ist immer wieder hervorgehoben worden. Vom ersten Wort an, wie sich beide hinstellen – im Griechischen mit Bedacht durch eine völlig andere Form desselben Wortes ausgedrückt – bis zu jedem Worte ihres Gebetes ist der Gegensatz vollendet, die Kennzeichnung des einen wie des anderen unübertrefflich und meisterhaft. Mit welcher Ironie heißt es beim Pharisäer, daß er „bei sich selbst“ so betete. Das Griechische bedeutet sogar fast „zu sich selbst“ beten – und wahrlich, es ist das ein Gebet „bei sich selbst“ – nicht zu Gott. Nach einem lächerlich kümmerlichen Anlauf zu einem wirklichen Beten sinkt es sofort herab zu einer wohlgefälligen Selbstbetrachtung mit geringschätzigem Seitenblick auf den Zöllner. Das ganze Beten strotzt geradezu von immer wiederholten „Ich“ und wirkt in der Hervorhebung der guten Werke – Fasten zweimal in der Woche und Verzehnten alles Erworbenen, beides gar nicht einmal mehr geboten vom Gesetze! – erbärmlich. Leider kennzeichnet der Herr damit die Geistesart nicht bloß der Pharisäer von damals, auch vieler Frommen von heute! Wie oft sind es lediglich ein paar äußere Übungen, mit denen man sich frömmer und heiliger, zum mindesten aber „asketischer“ dünkt als die anderen!

Dagegen ist der Zöllner in allem ein Bild der Demut, der richtigen Herzensgesinnung, und sein Gebet, soviel kürzer als das des anderen, bringt treffend den notwendigen Inhalt des Gebetes zum Ausdruck. Er steht „von ferne“, womit nur zu verstehen gegeben ist, wie anmaßend der Standplatz des Pharisäers gewählt war, offenbar ganz vorne (aber wohl in demselben Vorhof – der Männer offenbar – man wird also schon wegen des Wortes: „wie dieser Zöllner da...“, den Zöllner deshalb nicht in den äußersten Vorhof, etwa der Heiden, verbannen müssen, wie einige Erklärer es getan haben!). Er erhebt nicht einmal seinen Blick gen Himmel, schlägt noch an seine Brust – wieviel mehr ist in dem allen schon wahres Beten, bevor er auch nur seinen Mund auftut! Dann aber kommt der kurze Satz, der nur das Notwendigste enthält, dieses aber auch ganz, was zwischen Gott und dem Menschen sein muß, wenn sie sich gegenüberstehen. Dem Menschen entsinkt da jeder Boden, jede „Selbständigkeit“ – er kann nur flehen, daß Gott gnädig sei, ihm, dem Sünder.

Und nun schließt das Gleichnis überraschend nicht mit der Erklärung, welches Gebet besser war, sondern damit, daß die Rechtfertigung des Menschen erklärt wird. Es ging also nicht um das Beten an sich. Der Herr wollte vielmehr zeigen, wie sich der Mensch Gott gegenüber zu stellen habe, wenn er vor Ihm „recht“, richtig, der Norm entsprechend sein will. Nicht mit der Auftrumpfung seiner guten Werke, nur im Bekenntnis seiner Sündhaftigkeit und im Flehen um die Gnade kann der Mensch vor Gott bestehen. Das heißt mit anderen Worten, er kann aus sich überhaupt nicht bestehen, die Huld und Gnade Gottes muß vielmehr die Sünden vergeben und ihn – aus Gnade – gerecht machen, rechtfertigen! So also fängt das Schicksal des Menschen an, sich zum Guten zu wenden: mit dem gedemütigten und zerknirschten Herzen, aber freilich auch in einem klar an Gott selbst persönlich gerichteten Rufen. Er muß nicht nur ein demütigendes Wissen um seine allgemeine Sündhaftigkeit haben, er muß auch wissen, vor wem er dadurch schuldig geworden ist und wessen Gnade er sich erbitten muß. Insofern sind in dem Gebete des Zöllners in ergreifender Weise alle jene Momente enthalten, die man später als Bestandteile einer „vollkommenen“ Reue erklärt hat. Wichtig erscheint vor allem diese klare persönliche Art, in der hier Gott und der Mensch sich gegenüber treten. Wieviel Ballast hindert doch den Pharisäer, daß er überhaupt dazu käme, das Wesentliche ins Auge zu fassen: Gott und er, der Mensch – was doch allein, ganz abgesehen von der Rechtfertigung, erst richtiges Beten wäre.

Etwas Großes aber ist damit verkündet: Es braucht nur richtig gebetet zu werden, dann erfolgt die Rechtfertigung sofort. Hierin ist eine erstmalige Erfüllung jenes großen Wortes zu sehen, daß Er Seinen Auserwählten Recht verschaffen wird „in Schnelligkeit“. Ist diese Rechtfertigung auch bei weitem nicht das, was jenes Wort mit „Recht verschaffen“ alles meinte – so ist sie doch der allererste Anfang dazu. Denn erst muß offenbar der Mensch „gerechtfertigt“ sein in Gnaden, bevor man von „Auserwählung“ und „Recht“ bei diesen reden kann. Dieses erste Ereignis ist also das entscheidende, alles andere baut auf diesem auf. Wann es erfolgt, wie es weiter erhalten bleibt – wird nicht genauer gesagt. Sicher ist nur das eine: ohne diese Rechtfertigung vor Gott gibt es keinen Eingang in das Reich für den einzelnen.

Heilsgeschichtlich aber ist diese Parabel geradezu erschütternd ob ihrer Einfachheit und ihrer Größe. Beide stiegen hinauf nach Jerusalem: Israel, jetzt zu dieser Osterfeier, und der Herr. Und Israel verlegte sich wieder auf das Beobachten aller der Vorschriften und fand darin sein Genügen und die Wohlgefälligkeit vor sich selbst – der Herr aber wird diesmal hinaufgehen, das Haupt gesenkt, und mehr als bloß die Brust zerschlagen, gedemütigt in allem, und Sein Beten wird sein um Vergebung und Gnade für den sündigen Menschen! Und der Ausgang wird Ihn in allem rechtfertigen – Israel aber bleibt in seiner so großen Selbstgefälligkeit ungerechtfertigt und wird verworfen!


08. August 2015


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