Der moderne Mensch
und Die Welt der Flucht

(Quelle: Antimodernist Oktober 2015)

Ist der moderne Mensch einfach nur modern in dem Sinn, daß er etwas mehr Technik besitzt und Komfort, daß er medizinisch besser versorgt ist und einen relativ haben Wohlstand und Lebensstandard sein eigen nennen kann – wenigstens in der westlichen Welt?
     Sicherlich nicht, denn all das ist zwar durchaus ein Aspekt des modernen Lebens, aber nicht das Wesentliche. Die Veränderungen, die zu dem geführt haben, was wir heute „modern“ nennen, gehen viel weiter und vor allem viel tiefer. Es gibt eine grundlegende Wandlung des ganzen menschlichen Lebens, weshalb man durchaus zu Recht das Wort „modern“ in einem exklusiven, für diese heutige Zeitepoche im besonderen Maße geltenden Sinne gebraucht. Wobei man darüber durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, wann diese Epoche der Moderne genau beginnt, ist ja die geistige Vorlaufzeit viel länger als man gewöhnlich annimmt.

Es gab natürlich um das Jahr 1000 ebenfalls schon Entwicklungen, die man damals als modern, im Sinne von fortschrittlich hätte bezeichnen können, denken wir etwa an den romanischen Baustil. Dennoch war damals aufgrund dieser neuen Bauweise niemand der Meinung, daß deswegen die Menschheit in ein Zeitalter der Moderne eingetreten sei, ein Zeitalter, das ganz neu, ganz anders ist als alles, was zuvor jemals existierte, wie man es heute allgemein annimmt.
     Der Unterschied der Moderne zu einer früheren Epoche der Weltgeschichte wird für uns nochmals etwas greifbarer, sobald wir auf ein weiteres Phänomen achten: Die Moderne entwickelt sich durchaus nicht als Kontinuum aus den vorhergehenden Zeiten, sondern sie entstammt ihrem Eigenverständnis nach einer ganz en Reihe von Umwälzungen, Revolutionen. Da gab es die Französische Revolution, die naturwissenschaftliche Revolution, die industrielle Revolution, die wirtschaftliche Revolution und die sexuelle Revolution usw. Es soll hier nicht überprüft werden, inwieweit diese Benennungen wirklich berechtigt sind, also jeweils wahre und wirklich radikale Umwälzungen stattfanden, die einen vollkommenen Bruch mit der Vergangenheit bedeuteten, oder ob es sich nur um Nuancierungen von schon lange Vorhandenem handelte. Was aber zweifelsohne zutrifft, die Moderne beinhaltet wesentlich eine immer weitergehende Absetzung und Entgegensetzung zum christlichen Erbe. So gesehen sind all diese „Revolutionen“ ein schrittweiser, immer radikaler werdender Rückfall ins Heidentum mit allen Folgen eines solchen Abfalls. Wobei diese wesentlichen, sich gegen das christliche Erbe richtenden Veränderungen und ihre entsprechenden Folgen nur von einem glaubenden Christen wahrgenommen werden können, ist doch die übernatürliche Wirklichkeit nur aufgrund von Offenbarung und Glauben erkennbar und greifbar.

Weil im Reich des Geistes nichts zufällig geschieht, ist es auch noch erwähnenswert, daß hinter all diesen Revolutionen konkrete Interessengruppen stehen. Die Mär von einer Revolution des Volkes kann man nur demjenigen erzählen, der sich niemals mit dem Wesen einer Revolution beschäftigt hat und keinerlei Wissen über geistige Wirklichkeiten und Entwicklungen mehr besitzt. Jede Revolution wird selbstverständlich von einer Elite geleitet, einer Elite mit den entsprechenden finanziellen, militärischen, ideologischen und demagogischen Möglichkeiten, die alle notwendig sind, um eine Revolution in Gang zu bringen und auf das angestrebte Ziel hinzulenken.
     Mit anderen Worten: Die Welt ist nicht einfach modern geworden, sondern sie wurde modern gemacht. Aber nur ganz wenige durchschauen die tieferen und viel weitreichenderen Zusammenhänge, die sich hinter dem äußeren Geschehen verbergen. Dennoch gibt es auch heute noch große Geister, denen es gelingt, das Wesentliche zu erfassen – und meisterhaft ins Wort zu bringen. Einer davon ist Max Picard, der auf eine völlig eigene und originelle Weise die Moderne durchschaut, beschrieben und entlarvt hat. Wir wollen in der Folge einige Kernaussagen dieses Philosophen wiedergeben und versuchen, diese kommentierend dem Leser nahezubringen. Alle Texte sind genommen aus: Max Picard, Wie der Teller eines Akrobaten..., Jan Torbecke Verlag Sigmaringen.

Ein Werk Max Picards trägt den Namen „Die Flucht vor Gott“. Wenige kamen wohl auf den Gedanken, in diesem Titel eine ganz und gar grundlegende Analyse der Moderne zu vermuten – und doch ist dies der Fall. Wobei diese Analyse schon genial zu nennen ist, denn sie trifft zielsicher des Pudels Kern. Aber folgen wir den Gedanken Picards:
     „Der Mensch ist zu allen Zeiten vor Gott geflohen, aber das unterscheidet die Flucht heute von jeder anderen: der Glaube war früher das Allgemeine, er war vor dem Einzelnen vorhanden, es war eine objektive Welt des Glaubens da; die Flucht hingegen spielte sich nur im einzelnen Menschen ab, sie kam erst dadurch zustande, daß der Einzelne sich durch einen Akt der Entscheidung von der Welt des Glaubens löste, es mußte sich einer erst seine Flucht schaffen, wenn er fliehen wollte.“

Jeder Christ weiß, der Mensch steht vor Gott, er steht immer vor Gott. Wobei das, was wir mit dem Wort „Gott“ benennen, nicht ein Etwas ist, ein bloßes Ding oder eine abstrakte Weltseele, sondern eine Person. Der Mensch steht also vor Gott, der ihm, dem Menschen, ein persönliches Gegenüber ist, mit dem er reden kann, von dem er sich erkannt weiß und vor dem er auch für all sein Tun verantwortlich ist. Jeder Einzelne muß einmal vor dieser göttlichen Person persönlich Rechenschaft ablegen für jedes Wort und jede Tat seines Lebens. Wir sind nämlich von Gott mit freiem Willen geschaffen und können deswegen wählen zwischen Gut und Böse, das wir aufgrund unserer geistigen Erkenntnisfähigkeit sicher unterscheiden können. Wir sollen das Gute wählen und das Böse verwerfen: „Denn es ist Gottes Wille, daß ihr durch gutes Verhalten die unverständigen und unwissenden Menschen zum Schweigen bringt, – als Freie, die ihre Freiheit nicht als Deckmantel der Bosheit mißbrauchen!“ (1 Petr. 2,15f).

In dieser gottgeschenkten Freiheit steht also der Mensch vor Gott und spricht:
     „Herr, du erforschest mich und kennest mich! Ob ich sitze oder stehe, du weißt es. Du verstehst meine Gedanken von ferne. Ob ich gehe oder liege, du ermissest es, und vertraut sind dir all meine Wege; ja, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, o Herr, nicht wüstest. Von hinten und von vorne hältst du mich umschlossen, hast deine Hand auf mich gelegt. O wunderbares, mir zu hohes Wissen, zu hoch, als daß ich es je faßte. Wohin soll ich gehen vor deinem Geiste? Wohin vor deinem Antlitz fliehen? Stiege ich auf in den Himmel, so bist du dort, bettete ich mich in die Hölle, so bist du da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und flöge zum äußersten Meere, so würde auch dort deine Hand mich ergreifen und deine Rechte mich fassen. Und spräche ich: ‘Finsternis möge mich decken, und Nacht sei das Licht rings um mich’, so wäre auch Finsternis nicht finster für dich, die Nacht wäre licht wie der Tag. Denn du hast meine Nieren geschaffen, du hast mich gewoben im Mutterschoße... Meine Seele kennest du wohl, mein Gebein ist dir nicht verborgen... Deine Augen sahen all meine Tage, in deinem Buche standen sie alle... Mir aber, wie schwer sind deine Gedanken, O Gott! ... Wenn ich aufwache, ist mein Sinn noch bei dir.“ (Ps 139,1-17)

Der Mensch ist von Gott behütet und er ist solange in der Welt Gottes zuhause, solange er sich dem Willen Gottes unterordnet. Sobald er sich jedoch gegen Gott erhebt, ändert sich die Situation grundlegend. Dies wird ersichtlich aus dem Bericht der Heiligen Schrift über den Brudermord Kains. Als Kain seinen Bruder Abel ermordet hatte, stellte Gott ihn zur Rede: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Er aber antwortete: „Ich weiß es nicht! Bin ich etwa der Hüter meines Bruders?“ Worauf Gott entgegnete: „Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit auf zu mir von der Erde. So sei nun verflucht auf der Erde, die ihren Mund aufgetan und deines Bruders Blut von deiner Hand empfangen hat. Wenn du sie bebaust, soll sie dir ihre Früchte nicht geben; unstet und flüchtig sollst du auf Erden sein!“
     Die Sünde macht den Menschen rast- und heimatlos. Sie zwingt ihn zur Flucht vor Gott – solange sie nicht bereut und gesühnt ist. Darum heißt es in der Heiligen Schrift weiter: „Da zog Kain weg von dem Angesichte des Herrn und nahm im Lande ostwärts von Eden seinen Aufenthalt als Flüchtling.“

Der Sünder flieht vor Gott, solange er Sünder ist – und dennoch, solange die objektive Welt des Glaubens da ist, wird er immer auch von der Güte und Barmherzigkeit Gottes umfangen und sozusagen immer wieder eingeholt. Der Mensch muß deswegen willentlich fliehen und ständig auf der Flucht bleiben – „die Flucht hingegen spielte sich nur im einzelnen Menschen ab, sie kam erst dadurch zustande, daß der Einzelne sich durch einen Akt der Entscheidung von der Welt des Glaubens löste, es mußte sich einer erst seine Flucht schaffen, wenn er fliehen wollte.“

Wir können den Segen einer solchen Welt des Glaubens nur noch ahnen, denn diese Situation hat sich, wie Max Picard festgestellt hat, in der Moderne grundlegend geändert.
     „Heute ist es umgekehrt: der Glaube als objektive äußere Welt ist zerstört, der einzelne muß in jedem Augenblick sich immer von neuem durch den Akt der Entscheidung den Glauben schaffen, indem er sich von der Welt der Flucht löst; denn die Flucht, nicht mehr der Glaube, ist heute als eine objektive Welt da, und jede Situation, in die der Mensch kommen kann, ist von vornherein, ohne daß der Mensch sie erst dazu macht, eine Situation der Flucht, die selbstverständlich ist: alles in dieser Welt ist nur in der Form der Flucht vorhanden.“

Man muß in diese moderne Welt nur einmal hineinschauen, um bestätigen zu können, wie wahr diese Feststellung ist, wahr und im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich treffend, denn „der Glaube als objektive äußere Welt ist zerstört“. Der Mensch hat keinen Bezugspunkt mehr in der ewigen Welt Gottes, er ist vollkommen gefangen in der Zeit, die pausenlos zerrinnt. Die Welt des Menschen wird dadurch zu einer Welt der Flucht. Alle sind inzwischen auf der Flucht. Nicht nur zufällig, zeitweise, gerade heute einmal, sondern immer und wesentlich sind alle auf der Flucht, weil sie Gott verloren haben.
     Der wesentliche Unterschied zu früher besteht also darin: Während früher der Fliehende ein Einzelner war und die Welt als eine Welt des Glaubens von Gott gehalten wurde, sind heute alle auf der Flucht, und zwar ohne überhaupt noch zu wissen warum, denn der Grund für die dauernde Flucht – Gott! – scheint vollkommen vergessen zu sein. ER scheint keinerlei Rolle mehr in dieser Welt zu spielen.
     Wenn es aber stimmt, daß man Gott nicht entkommen kann, dann bleibt demjenigen, der die Sünde als Lebensform gewählt hat, nur noch die ununterbrochene Flucht vor dem eigenen Gewissen: „alles in dieser Welt ist nur in der Form der Flucht vorhanden“. Eine solche Welt hat wirklich etwas Gespenstisches an sich, ja mit einem christlichen Wort gesagt: etwas Dämonisches!

Für einen Menschen des Glaubens wird es fortan natürlich sehr schwer, in dieser Welt der Flucht noch bestehen zu können, denn: „Wohl ist es möglich, jede Situation der Flucht durch die Entscheidung in die entsprechende Situation des Glaubens zu verwandeln; aber es ist schwer. Und wenn es auch dem einzelnen gelingt, sich von der Welt der Flucht loszureißen in den Glauben, so gelingt es doch nur für ihn, den Einzelnen; die Welt der Flucht besteht unabhängig von seiner Entscheidung.“

Wenn heute ein Fliehender zu Gott zurückkehrt, dann scheint er dennoch nicht mehr wie früher heimzukehren, sondern im Gegenteil, er scheint hinausgeworfen zu werden aus dieser Welt. Die Welt des Glaubens ist ja nicht mehr einfach da, nicht mehr objektiv in der Gesellschaft verwirklicht, weswegen sie von jedem Einzelnen mühsam errichtet werden muß – und wenn er sie mühsam aus seinem Glauben errichtet hat, droht sie ständig wieder in sich zusammenzubrechen, denn „die Welt der Flucht besteht unabhängig von seiner Entscheidung“ weiter. Wenn alles um einen herum auf der Flucht ist, wie soll man da noch in Gott beheimatet sein und bleiben, wie soll man noch dauernden Halt in Gott finden? Ist das nicht eine übermenschliche Leistung, denn siehe: „Außerhalb der Flucht scheint es keine Menschen zu geben, der Mensch existiert nur in dem Maße, als er an der Flucht teilhat. Ein Mensch lebt, und indem er lebt, flieht er. Leben und Fliehen sind eines. Der Einzelne ist zuerst als Fliehender da; dann, erst durch Reflexion, entdeckt er, daß es auch so etwas wie ein Nicht-Fliehendes geben könnte. Die Flucht ist so zu ihm gehörig, daß es scheint, sie sei das Normale und nicht das Außergewöhnliche. Wenn die Flucht eine Angelegenheit für sich ist, unabhängig vom Menschen, dann fragt man nicht mehr, warum man flieht, man vergißt, daß man vor Gott flieht. [...]“
     Mit diesen wenigen Sätzen ist ein gewisser Endzustand beschrieben, der Jetztzustand der modernen Welt. Der Mensch ist vollkommen eingeschlossen in eine Unruhe, die ihn Tag und Nacht umtreibt. Die Flucht scheint ihm so sehr das Normale geworden zu sein, daß er sich ein Leben ohne Flucht gar nicht mehr vorstellen kann: „Ein Mensch lebt, und indem er lebt, flieht er. Leben und Fliehen sind eines.“
     Darum wird der moderne Mensch zu der Überzeugung gedrängt oder beinahe gezwungen, er müsse sich möglichst mit der Flucht arrangieren, denn nur auf diese Weise könne das Leben noch erträglich sein. Er stürzt sich ins Vergnügen, um die Flucht zu überspielen, um nicht ständig von der Hektik der Flucht getrieben zu werden, ohne zu merken, daß auch seine Vergnügungssucht schon wieder Flucht ist.
     Auf dem Hintergrund dieses Lebensgefühls erscheint die Ruhe in Gott absurd, sie erscheint wie ein Traum, oder eher wie ein Alptraum. Und je länger dieser Zustand dauert, desto größer wird die Verblendung des Herzens, denn diese ist eine Strafe Gottes für die Sünden:
     „Höret immerfort, doch verstehet nicht, und sehet immerfort, doch erkennet nicht. Verstocke das Herz dieses Volkes, mache taub seine Ohren und blind seine Augen...“ (Is 6,9-10)
     „Starret und staunet, verblendet euch und erblindet! Seid trunken, aber nicht vom Weine, taumelt, doch nicht vom Rauschtrank. Denn Jahwe hat ausgegossen über euch einen Geist des Tiefschlafs und eure Augen – die Propheten – verschlossen und eure Häupter – die Seher – verhüllt. So erging es euch mit der Weissagung von alledem wie mit den Worten eines versiegelten Buches.
     Wenn man es einem gibt, der lesen kann und spricht: ‘Lies doch dieses! ’, so antwortet er: ‘Ich kann nicht...’
     Und Jahwe sprach: ‘Weil dieses Volk mit dem Munde sich naht und mit den Lippen mich ehrt, sein Herz aber ferne von mir ist, so daß ihre Furcht vor mir nur angelernte Menschensatzung ist, darum will ich auch fernerhin mit diesem Volke wunderbar verfahren, wunderbar und wundersam, und die Weisheit seiner Weisen wird zunichte werden, und der Verstand seiner Verständigen wird sich verbergen.’“ (Is 29,9-14)

Der Philosoph Donoso Cortez beschrieb schon vor etwa 150 Jahren den heillosen Zustand der modernen Welt folgendermaßen:
     „Die Lebenskraft der Wahrheit ist so groß, daß, wenn ihr eine einzige Wahrheit besitzen würdet, nur eine einzige, diese Wahrheit euch retten könnte; aber euer Fall ist so tief und eure Blindheit so vollständig, daß ihr selbst diese einzige Wahrheit nicht habet. Aus diesem Grunde wird die Katastrophe, welche kommen muß, in der Geschichte die allergrößte Katastrophe sein. Einzelne können sich vielleicht noch retten, weil Einzelne immer gerettet werden können; aber die Gesellschaft ist verloren, nicht weil es für sie schon rein unmöglich ist, gerettet zu werden, sondern weil sie nicht den Willen hat, sich selbst zu retten. Es gibt keine Rettung für die Gesellschaft, weil wir unsere Söhne nicht zu Christen machen wollen, und weil wir selbst nicht wahre Christen sind. Es gibt keine Rettung für die Gesellschaft, weil der katholische Geist, der einzige Lebensgeist nicht das Ganze durchdringt; er durchdringt nicht die Erziehung, die Regierung, die Gesetze und die Moral. Den Lauf der Dinge in dem Zustande, in welchem sie sind, ändern wollen, würde, wie ich nur zu gut einsehe, eine Riesenunternehmung sein. Es gibt keine Macht auf Erden, die für sich selbst diesen Zweck erreichen könnte, und schwerlich könnten alle Mächte, wenn sie zusammen wirkten, dieses Ziel erlangen. Ich überlasse euch das Urteil, ob eine solche Mitwirkung möglich ist, und bis zu welchem Punkte, und zu entscheiden ob, selbst diese Möglichkeit angenommen, die Rettung der Gesellschaft nicht in jeder Hinsicht ein wahres Wunder wäre.“

Wenn beinahe die ganze Welt auf der Flucht vor Gott ist, dann ist leicht einzusehen: „Den Lauf der Dinge in dem Zustande, in welchem sie sind, ändern wollen, würde, wie ich nur zu gut einsehe, eine Riesenunternehmung sein.“ Denn wie soll man dieser Welt der Flucht noch die Einsicht vermitteln, daß die Flucht aussichtslos und sinnlos ist? Wie soll man diese ständig fliehenden Menschen noch zur Umkehr bewegen? „Es gibt keine Macht auf Erden, die für sich selbst diesen Zweck erreichen könnte, und schwerlich könnten alle Mächte, wenn sie zusammen wirkten, dieses Ziel erlangen.“ Eine Jahrhunderte dauernde Fehlentwicklung kann man nicht einfach mit einem Federstrich wieder rückgängig machen. Es ist darum ganz und gar wahr, „die Rettung der Gesellschaft wäre in jeder Hinsicht ein wahres Wunder“. Gerettet werden kann nur noch der Einzelne. Der Einzelne hat immer noch die Möglichkeit, der Flucht zu entkommen, die Möglichkeit umzukehren!

Wir lesen im Lukasevangelium: Als der verlorene Sohn sein Vermögen durchgebracht hatte und aufgrund der Hungersnot im Land zum Schweinehirten wurde, erinnerte er sich an die Zeit im Vaterhaus. „Da ging er hin und verdingte sich bei einem Bürger jenes Landes. Dieser schickte ihn auf seinen Landsitz, um die Schweine zu hüten. Gern hatte er seinen Magen mit den Schoten gefüllt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab sie ihm. Da ging er in sich und sagte: ‘Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluß, ich aber komme hier vor Hunger um! Ich will mich aufmachen, zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen; behandle mich wie einen deiner Tagelöhner.’“ (Lk. 15, 15-19)

Nur durch Reflexion – durch vertieftes, objektivierendes Nachdenken – „entdeckt er, daß es auch so etwas wie ein Nicht-Fliehendes geben könnte“, er erinnert sich an das Vaterhaus, in dem alle von der Sorge des Vaters gehalten werden, daß selbst die „Tagelöhner meines Vaters Brot im Überfluß” haben, während ich hier vor Hunger umkomme! Diese Wiederentdeckung der väterlichen Fürsorge und Liebe ist der Beginn der Rückkehr zu Gott. Das wiedergefundene Wissen, es gibt eine Welt ohne Flucht, ein wahres Zuhause, eine wirkliche Heimat eröffnet den Weg zurück zum Vater – „Er machte sich also auf und ging zu seinem Vater.“


6. Dezember 2015


ZURÜCK


vissza

a KÖNYVTÁR oldalra                              INDEX