Traktat über das Fegfeuer
von Hl. Katharina von Genua
Auszüge aus dem Buch: Ferdinand Holböck: Die Theologin des Fegfeuers, 1980 und 1991
(1928)

Inhalt und Bedeutung des Traktates

Der wesentliche Kern der Fegfeuerlehre Catharinas ist dieser: „Die Seele, die sich vom Leibe trennt und sich jener Reinheit befindet, in der sie geschaffen wurde, stürzt sich, da sie in sich das Hemmnis erkennt und zugleich begreift, daß dieses Hemmnis ihr nicht abgenommen werden kann außer durch das Fegfeuer, sofort und freiwillig dort hinein...“ (Kap. 1, Traktat über das Fegfeuer).

Zugleich mit der Freiwilligkeit, mit der die Seele zu ihrer Reinigung das Fegfeuer sucht, empfindet sie eine unaussprechliche zufriedene Freude, in der Ordnung Gottes zu stehen und von seiner Liebe in diese Läuterungsglut hineingehalten zu werden. Aber trotz dieser Freude ist der Schmerz da. Das wiederholt Catharina immer wieder: sowohl grenzenlose Freude als auch unermeßliche Pein der Seele im Fegfeuer; vor allem aber ist die Seele erfüllt von Zustimmung zum Willen Gottes. „Zwar gibt die Liebe Gottes, die in der Seele überströmt, ihr – so viel ich sehe – eine so große Zufriedenheit, daß man dies gar nicht ausdrücken kann, aber diese Zufriedenheit nimmt der Seele im Fegfeuer nicht den kleinsten Funken ihrer Qual; im Gegenteil, gerade darin besteht ihre Pein, daß jene Liebe sich in ihr gehemmt findet; und die Pein ist um so größer, je größer die Vollkommenheit der Liebe ist, deren Gott die Seele fähig gemacht hat. So hat die Seele im Fegfeuer allergrößte Freude und allergrößten Schmerz, und das eine hebt das andere nicht auf.“ (Kap. 12, Traktat über das Fegfeuer).

Sobald der Seele die Augen geöffnet sind, daß sie die Liebe Gottes erkennt – und das geschieht ihr im Tod, wenn sie nicht im Stand des bösen Willens (also der Todsünde, sondern im Gnadenstand) gestorben ist –, so wird auch sie selbst von Gottesliebe ganz entflammt, dann aber kann jedes Hemmnis zwischen ihr und Gott ihr zur unaussprechlichen Qual werden: Qual genug, um dem Feuer der Verdammten gleichzukommen. Und doch ist die Seligkeit der Ordnung Gottes da, die Gleichgestimmtheit mit dem Wollen Gottes, die Gewißheit seiner Liebe: Feuer genug, um den »Rost der Sünde« in der Seele aufzuzehren und sie völlig zu läutern. Dieser Läuterung aber stürzt sich die Seele mit Freude entgegen, so schnell sie kann, sowohl weil ihr Wille nichts anderes mehr wollen kann als das, was Gott will, als auch, weil sie froh ist, sich reinigen zu können.
     Gegenüber allen volkstümlichen, teilweise recht naiven Vorstellungen vom Fegfeuer ist Catharinas Schau vom Fegfeuer ganz durchgeistigt und durch die reine Gottesliebe vertieft. Schmerz ist wohl da als gerechte Folge der Sünde, aber dieser Schmerz ist mehr zur Läuterung als zur Strafe da. Und der Schmerz besteht im tiefsten Grunde nur im Feuer der Liebe selbst. Zugleich ist doch schon jener Friede in den büßenden Seelen im Fegfeuer, der aus der Gewißheit kommt, die Ordnung Gottes nicht mehr verlassen zu können.

Catharina sieht, wie im Fegfeuer Gottes Liebe auch das Walten seiner Gerechtigkeit in eine Seligkeit zu verwandeln vermag. Mehr als der gerechte Gott steht vor dieser Mystikerin der Gottesliebe immer der liebende Gott, der auch in der Läuterung des Fegfeuers nicht quälen will. Auch die Läuterung im Fegfeuer ist für die noch durch den »Rost der Sünde« gehemmte Seele nicht schreckhaft, sondern ist das, was die Seele selbst freiwillig sucht; denn das Fegfeuer ist der einzige Zustand und Ort, nach dem sie verlangt, weil das Fegfeuer allein die Seele wieder so herstellt, daß sie in die Herrlichkeit Gottes ungehemmt eintreten kann. Unaussprechliche Qual ist da, ja, aber sie gilt der Seele nichts mehr, weil sie von Gott allein ganz erfüllt ist; aus Liebe zu Gott büßt die Seele freudig, sie leidet, ja, aber sie leidet ohne Angst.

Der ganze Läuterungsprozess der im Gnadenstand Verstorbenen, wie er in der ursprünglichen Fassung des »Traktates über das Fegfeuer« als 41. Kapitel der Lebensbeschreibung (»Vita«) der hl. Catharina von Genua geschildert wird, ist eigentlich nur die Geschichte von Catharinas eigener mystischer Erfahrung, jener Läuterung, die sie selbst auf dem Weg zur ganz reinen, lauteren, selbstlosen Gottesliebe durchgemacht hat; sie deutet am Beispiel ihrer eigenen Läuterung die der Armen Seelen. Darum heißt es in der Einleitung des 41. Kapitels der »Vita« im Manuskript D: „Im Vergleich mit dem göttlichen Feuer, das sie (Catharina) in ihrem Herzen fühlte und das ihre Seele reinigte, sah sie innerlich und erfaßte sie, wie es um die Seelen im Fegfeuer steht, wenn sie geläutert werden, bevor sie vor dem Angesicht Gottes in jenem seligen Leben erscheinen können.“

Der »Traktat über das Fegfeuer« hat gar manche Theologen der späteren Zeit tief beeindruckt, vor allem im englischen und französischen Raum. Im englischen Sprachraum war es besonders der bekannte religiöse Schriftsteller und Konvertit Fredr. William Faber, der diesen Traktat sehr hoch geschätzt und in englischer Übersetzung herausgebracht hat; Kardinal H. E. Manning hat zur englischen Übersetzung »Treatise on Purgatory« das Vorwort geschrieben. Kardinal John Henry Newman aber hat Catharinas »Traktat über das Fegfeuer« in seinen berühmten »Traum des Gerontius« (»Dream of Gerontius«) einfließen lassen. Aubrey de Vere hat eine poetische Paraphrase zu diesem Traktat geschrieben.
     Im französischen Sprachraum war es vor allem der heilige Bischof und Kirchenlehrer Franz von Sales, der besonders tief von Catharinas »Traktat über das Fegfeuer« beeindruckt war. Ihn, der in seinem »Traktat über die Gottesliebe« (»Traité de l'amour de Dieu«) oder »Theotismus« wie die hl. Catharina von Genua ein einflußreicher Lehrer der reinen Gottesliebe war, mußte es überzeugend beeindrucken, daß Catharina den Zustand der Seelen im Fegfeuer wegen deren liebender Ein- und Unterordnung unter den Willen Gottes als einen Zustand der Freude erkannte.
     Der Bischof Jean Pierre Camus von Belley, Schüler und Biograph des hl. Franz von Sales, berichtet in seinem Buch über den »Geist des hl. Franz von Sales« (»L'Esprit du Bienheureux St. Francois de Sales«), der Heilige habe seine Priester mehrmals daran erinnert, sie sollten dem Volk nicht nur die Pein und Strafe der Seelen im Fegfeuer vor Augen stellen, sondern auch „deren vollkommene Gottesliebe“ und die Freude, die für sie darin liege, im Gnadenstand zu sein und sicher zur beseligenden Anschauung Gottes zu gelangen. Ganz offensichtlich hat der hl. Franz von Sales seine Gedanken über das Fegfeuer dem Traktat Catharinas von Genua entnommen. „Sprach er vom Fegfeuer“ – so berichtet Bischof Camus –, „so empfahl er dringend, den wundervollen, ganz seraphischen »Traktat über das Fegfeuer« zu lesen, den die selige Catharina von Genua aus reiner Inspiration und göttlicher Erleuchtung geschrieben hat.“

Die wichtigsten Lehrpunkte des hl. Franz v. Sales über das Fegfeuer sind nach Bischof Camus folgende: „Der Gedanke an das Fegfeuer ist weit mehr geeignet, uns Trost als Furcht einzuflössen... Sind zwar auch die Qualen des Fegfeuers wirklich so groß, daß die äußersten Schmerzen dieses Lebens nicht damit verglichen werden können, so sind doch auch die inneren Freuden doch so wunderbar, daß keine Glückseligkeit und Lust dieser Erde ihnen gleichkommt. Denn 1. sind die Seelen doch in ständiger Vereinigung mit Gott; 2. sie haben sich doch vollkommen dem heiligsten Willen Gottes unterworfen; ihr Wille ist so innig in den Willen Gottes umgebildet, dass sie nur wollen, was Gott will, so zwar daß sie, wenn auch die Pforten des Himmels offenstünden, doch nicht wagen würden, vor Gott zu erscheinen, solange sie noch Sündenmakeln an sich wahrnehmen würden; 3. sie reinigen sich doch freiwillig und in Liebe, nur um Gott zu gefallen; 4. sie wollen dort in jener Weise sein, wie es Gott und solange es Gott gefällt; 5. sie sind bereits unsündlich; sie kennen auch nicht die geringste Regung der Ungeduld und begehen nicht den geringsten Fehler; 6. sie lieben Gott über alles mit vollendeter, reiner, uneigennütziger Liebe; 7. sie werden dort von den Engeln getröstet; 8. sie sind ihres ewigen Heils schon gewiß und in einer Hoffnung, die nie mehr in ihren Erwartungen zuschanden wird; 9. ihre bitterste Bitterkeit ist dennoch in tiefsten Frieden gebettet; 10. ist auch der Ort (des Fegfeuers) hinsichtlich der Schmerzen zwar eine Hölle, so ist er doch ein Paradies hinsichtlich der Lieblichkeit, die die Liebe Gottes in ihr Herz gießt; es ist das eine Liebe, die stärker ist als der Tod und mächtiger als die Hölle; 11. dieser Zustand (der Läuterung im Fegfeuer) ist mehr zu ersehnen als zu fürchten, denn die Feuerflammen sind dort heilige Sehnsucht und Liebe; 12. sie sind aber dennoch furchtbar, weil sie unsere Vollendung verzögern, die darin besteht, Gott zu schauen und zu lieben und durch die Anschauung und Liebe Ihn in der ganzen unermeßlichen Ewigkeit zu loben und zu verherrlichen.“

Diese zwölf Sätze sind eigentlich – außer dem siebten – genau und fast wörtlich Catharinas Fegfeuerlehre im »Traktat über das Fegfeuer«. Eben an dieser Stelle schreibt dann Bischof Camus, daß der hl. Franz von Sales hierzu den »Traktat über das Fegfeuer« der hl. Catharina zu lesen empfohlen habe. Dann erzählt Bischof Camus noch: „Auf seinen Rat hin las ich den Traktat mit Aufmerksamkeit; seither habe ich ihn oftmals gelesen, immer mit neuem Genuß und neuer Einsicht; und ich gestehe, daß ich über diesen Gegenstand nie etwas gelesen habe, was mich ähnlich befriedigt hätte.“

Schlußüberlegungen zur Fegfeuerlehre der heiligen Catharina

Wenn man nach der Lektüre des »Traktats über das Fegfeuer« überlegt, worin das Wesen des Zustandes der Armen Seelen im Fegfeuer in der Sicht der hl. Catharina von Genua besteht, so ist folgendes zu sagen:
     Die Seele hat das furchtbare Gericht Gottes glücklich hinter sich gebracht; sie konnte, weil im Gnadenstand befunden, vor dem ewigen Richter bestehen. In der ersten Begegnung mit dem göttlichen Richter ist die Seele durch das Licht der ewigen Wahrheit erleuchtet worden. Sie erkennt einerseits die unendliche Güte Gottes, seine strenge Gerechtigkeit, seine wahrhaft göttliche Reinheit und Heiligkeit, anderseits aber auch die Tatsache, daß sie selbst noch nicht würdig ist, vor dem Angesicht ihres Herrn und Geliebten zu erscheinen. Auf Seiten Gottes gibt es zwar kein Hindernis für den Eintritt der Seele in die ewige Seligkeit als nur seine unendliche, ganz vollkommene und absolut reine und heilige Wesenheit, die im Kontrast steht zu der noch vorhandenen Unvollkommenheit der Seele, die in ihrer Liebe zu Gott, dem höchsten und liebenswürdigsten Gut, noch gehemmt ist und noch behindert wird in der ersehnten, über alles beglückenden Vereinigung mit Gott. Die im Erdenleben begangenen Sünden sind zwar vergeben, aber sie haben in der Seele Wunden zurückgelassen, »Rostflecken« gleichsam, die noch aus dem Gold der von Gott ganz rein und schön geschaffenen Seele herausgebrannt werden müssen. Eine geheimnisvolle Kraft zieht zwar die im Gnadenstand ins jenseits hinübergegangene Seele zu Gott hin, gleichzeitig aber wird sie durch eine innere Kraft noch von Gott zurückgehalten. Aus dieser Verzögerung der Vereinigung der Gott liebenden, im Gnadenstand befindlichen Seele mit dem liebenden, aber sie ganz rein und vollkommen erwartenden Gott entsteht in der Seele eine Art Feuer, das zwar dem in der Hölle ähnlich und doch von diesem wieder ganz verschieden ist. Dieses Feuer reinigt und läutert die Seele von allem »Rost der Sünde«.

Wenn man eine Art Psychologie der Seelen im Fegfeuer entwerfen sollte, könnte man etwa folgendes skizzieren:
     1. Es gibt in den Armen Seelen schmerzvollste Pein und dennoch zugleich heilige Freude: Die Ursache der schmerzvollen Pein ist eine dreifache:
     a) das Wissen darum, noch etwas an sich zu haben, das Gott mißfällt,
     b) das Wissen darum, daß Gottes Liebe die Seele schon bei sich im ewigen Glück haben möchte, daß aber in ihr noch jenes Hindernis vorhanden ist, das durch die Sünde der Vereinigung mit Gott entgegengestellt wurde,
     c) das Wissen darum, daß die Erlangung der beseligenden Anschauung Gottes, die von der Seele so glühend herbeigesehnt wird und ihr schon gewiß ist, durch sie selbst noch eine Verzögerung erfährt.
     Eigenartig ist, daß die schmerzliche Pein der Seelen im Fegfeuer nicht etwa mehr und mehr abnimmt, sondern in der Sicht der hl. Catharina von Genua immer stärker und stärker wird, je mehr es der Befreiung aus dem Fegfeuer entgegengeht: Die immer mehr wachsende Erkenntnis Gottes, mit der wachsende Sehnsucht, Ihn zu schauen, und wachsende Liebe verbunden sind, verstärkt den Schmerz über die Verzögerung der Anschauung Gottes.
     Zusammen mit schmerzvollster Pein gibt es in den Seelen aber ganz große Freude. Auch diese wächst immer mehr, je mehr es Gott entgegengeht. Quelle der Freude in den Armen Seelen ist neben der zweifelsfreien Gewißheit, das ewige Heil sicher zu erlangen, das Wissen darum, daß der liebende Gott in großer Barmherzigkeit die Läuterung der Seele verfügt hat, um so seiner Gerechtigkeit Genugtuung zu verschaffen.

2. Es gibt in den Armen Seelen im Fegfeuer eine ganz große Gottesliebe. Diese Liebe zu Gott, der mit sanfter Gewalt die von Ihm geliebte Seele an sich zieht, bringt in der Seele im Fegfeuer eine sechsfache Wirkung hervor:
     a) Diese Liebe bewirkt eine Umgestaltung der Seele, die immer mehr Gott ähnlich wird.
     b) Diese Liebe bewirkt völlige Ergebung in die vom liebenden Gott für sie getroffene Anordnung und damit eine immer vollständigere Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes.
     c) Diese Liebe adelt die Seele, die von jedem Egoismus frei wird, sich selbst ganz vergißt, dem Leiden gegenüber ganz indifferent wird, vielmehr sich sogar immer stärker nach dem läuternden Leiden sehnt.
     d) Diese Liebe reinigt die Seele immer mehr: Den von Gott ausgehenden reinigenden Strahlen des Feuers göttlicher Liebe antwortet die Seele mit immer intensiverer Gegenliebe. So wird die Seele von allen Rostflecken begangener Sünden frei. f) Diese Liebe vernichtet schließlich alles in der Seele, was noch unvollkommen in ihr ist.
     g) Diese Liebe weckt in der von falscher Eigenliebe völlig frei gewordenen Seele ganz große Freude, die der Vorgeschmack der ihr zuteil werdenden ewigen Freude der beseligenden Anschauung Gottes ist. Weil sich die Seele ganz und gar vergessen hat und ganz von Gott beschlagnahmt ist durch die Liebe, erträgt sie auch die schmerzvollste Pein des Fegfeuers mit größter Freude.

Aus allen Überlegungen der hl. Catharina von Genua über das Fegfeuer spürt man heraus, daß hier jede ungute Materialisierung des Ortes (sofern man überhaupt davon sprechen kann) und des Zustandes des Fegfeuers fehlt; sie sieht alles vergeistigt im Feuer der Liebe, das von Gott, der die Liebe selber ist, ausgeht und das in der noch nicht ganz reinen, noch nicht ganz vollkommenen und der lautersten Reinheit und Heiligkeit Gottes noch nicht voll entsprechenden Seele vollkommene Läuterung schafft.


3. März 2017


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