„Man hatte es retten können – Aber man gab ihm Opium, statt zu schneiden“


Vorwort:
Joachim Fernau (1909-1988) Journalist und Schriftsteller war ein „Meister der pointierten Geschichtsschreibung“. Fernau's Werke zur Geschichte und Zeitgeschichte lösten stets heftige Für und Wider aus, ernteten viel Jubel bei den Lesern und viel Ärgernis bei den Kritikern.
     In dem folgenden Artikel werden die letzten Sätze vom Fernau's Buch, „Caesar läßt grüßen“ zitiert. Dieses Buch erschien 1971, diese Sätze müssen also spätestens aus den Jahren 1970-71 stammen. Fernau's Beschreibung von den Zuständen, die etwa seit Ende des 2. Jh. in dem Römischen Reich herrschten sind so schockierend, so prophetisch, dass es den heutigen Leser ein Schauer überläuft: Man könnte die heutige Lage in der Welt nicht treffender beschreiben.
     Und man entdeckt auch, dass unsere heutige Welt am ehesten dem Römischen Reich ähnelt – und dieses Reich ist genauso untergegangen, wie das Unsere bald untergehen wird. Und das ist eigentlich aufmunternd . . . besonders für die Katholiken, die wissen (stark hoffen), dass jetzt am Ende der Zeiten – als die katholische Kirche bis auf wenigen treuen Gläubigen zusammengeschrumpft hat – nur die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus einen solchen absoluten Untergang folgen kann . . .
     Wie Kardinal Pie (1815–1880) bereits vor 150 Jahren zu diesem Thema schrieb: „Je näher wir dem Ende der Welt kommen, desto mehr werden die niederträchtigen und betrügerischen Menschen die Oberhand gewinnen … Die Kirche wird … immer stärker auf die Größenordnung von Einzelpersonen und Heimen reduziert werden.” (Quelle: Kardinal Pie – Eleison Kommentare on Juni 28, 2014)


Caesar läßt grüßen – Die Geschichte der Römer
von Joachim Fernau

Aus dem XVIII. [letzten] Kapitel

…. Mit jedem Schritt näher an die Mauern der Stadt [ = Rom] wuchs die Unsicherheit. Einbrüche, Diebstahle, Raubüberfälle waren an der Tagesordnung und entzogen sich längst der Zahlung. Man war in Rom diesen Zustand so gewohnt, daß niemand mehr davon sprach. Bei, dem Jähzorn, der vor allem bei den Halbwüchsigen fast immer eine Folgeerscheinung ihrer Immunität ist und große Ähnlichkeit mit einem Mini-Cäsarenwahnsinn hat, genügte schon ein scharfes Wort, ein schiefer Blick, um eine wilde Reaktion hervorzurufen. Die Straßen und Plätze waren zu allen Stunden voll von müßigen, sich langweilenden Jugendlichen und von Pöbel. Das Elternhaus wurde zur Tankstelle und menschlichen Garage.
     Die Polizei trug ganz unnütz Tag um Tag Verbrecher jeden Alters zusammen; die Richter, von einem nicht mehr erklärbaren Wahn des Allesverstehens befallen, ließen die Verhafteten wieder frei, um die Menschenwürde nicht zu kranken. Sie hatten auch Angst, Angst vor der Rache an der Familie und Angst vor der »öffentlichen Meinung« des Rinnsteins. Ädile, die eingriffen, wurden mit Steinen beworfen. Nicht die Gesetze bestimmten das Leben, sondern die augenblicklichen Zustände bestimmten die Rechtsprechung. Die Entscheidungen der Richter waren ein Hohn auf die Gesetze. Gerade die älteren wetteiferten, einen Meter vor der Entwicklung zu marschieren.

Der Staat war der Feind des ehrlichen Bürgers geworden. Er honorierte Ordnung nicht mehr, er ließ dem Krankhaften allen Schütz angedeihen und nannte das human. Der Anständige war ihm als lebender Vorwurf suspekt und wurde diffamiert, um nicht zum Ankläger werden zu können. Die Staatskasse verschwendete die Steuergelder in die Unterhaltung der Volksluxusbäder und ernährte die Masse der untätigen Proletarier von der Wiege bis zur Bahre. Die Inflation griff rapide um sich. Ein Denar, längst nicht mehr aus Silber, hatte zur Zeit des Commodus wenigstens noch den Wert von einigen Pfennigen. Hundert Jahre genügten, um ihn zu einem tausendstel Teil sinken zu lassen. Der Staat gab dieses Schundgeld an die Beamten und Angestellten des ganzen Reiches aus und zwang sie, es zum Nennwert anzunehmen, lehnte aber selbst, sobald es zu ihm zurücklief, die Annahme als Falschgeld ab. Er war zum Verbrecher geworden. Geldgeschäfte ruhten bald vollständig, der Handel mit fremden Ländern hörte auf. Rom fiel auf die Stufe der Naturalienzahlungen zurück. Wer gutes, altes Geld hatte, versteckte es. Alles f1üchtete in Sachwerte, in leicht transportable, in Gold, Perlen und Edelsteine.

Carpe diem. Tagtäglich strömten die Massen in die Circusse, Arenen und Theater. Schon Titus hatte das von seinem Vater gestiftete Colosseum mit hunderttägigen Spielen eingeweiht, bei denen fünftausend exotische Tiere ihr Leben lassen mußten. Jetzt, zur Spätzeit, herrschte dort fast pausenlos Betrieb. Es faßte über fünfzigtausend Zuschauer. Aber die anderen Arenen kamen hinzu. Der Circus Maximus faßte nach dem letzten Umbau hundertfünfundachtzigtausend Menschen. Sicher waren ständig dreihundert- bis vierhunderttausend unterwegs auf der Jagd nach dem »bißchen, was unsereins hat«, dem Vergnügen. Zehntausende von Gladiatoren ließen ihr Leben, Hunderttausende von Tieren wurden abgeschlachtet. Im Colosseum fanden riesige Jagden zwischen aufgebauten Felskulissen statt. Den Circus setzte man unter Wasser und trug Seeschlachten aus, bei denen sich die Gegner zu Hunderten echt töteten. Das Wasser war rot von Blut. Die Menge tobte und schrie, fraß und stank. Der Blutgeruch zog in Schwaden durch die Straßen.

Eine neue Note kam in »das bißchen, was unsereins hat«, als die Christen- und Judenverfolgungen begannen. Die meisten der Opfer wurden im Circus Maximus den wilden Tieren vorgeworfen. Die Christensekte galt als geheimnisumwittert; man dichtete ihr Zauberei und sexuelle Orgien an und erwartete immer aufs neue zitternd vor Spannung die knallharten Volksfeste. An solchen Tagen – und es waren zeitweilig hundert im Jahr – brachen fast die Tribünen vor Menschenmassen, Männern und Frauen.
     An solchen Tagen war auch Hochbetrieb bei den Freudenmädchen und Mietkerlen, die sich in Scharen bei den Arenen zusammenzogen, denn es galt als einer der delikatesten Genüsse, noch mit dem Blutdunst in der Luft und dem Schreien der Opfer im Ohr einen Akt zu vollziehen.

Rom war voller Dirnen. Ihr Strich waren die Tuskische Gasse und das Subura-Viertel. Die besseren, teureren sah man auf dem Forum, in den Säulenhallen der Tempel und Bibliotheken und in den Separées der Circusse. Es wimmelte von Bordellen, die, mit obszönen Hausschildern gekennzeichnet, Kammern (von luxuriösen mit erotischen Positionen geschmückten Zimmerchen bis zu Zwei-Quadratmeter-Löchern) für jedermann zur Verfügung stellten oder Bestellungen außer Haus annahmen.
     Auch die riesigen Thermen, Eintritt frei, waren voll von Spezialisten und Spezialistinnen, Dienern des Marquis de Sade und des Herrn von Sacher-Masoch. Die Kinäden trugen die Gewänder der Mädchen, manche waren operiert und wimmerten, wie Petronius beschreibt, bei jeder Berührung. Schwarze Semiten wechselten mit zierlichen, mandeläugigen ägyptischen Knaben und blonden Kelten ab.
     Blond war sehr begehrt. Auch Frauen setzten sich Germanenhaar-Perücken auf und banden sich blonde Dreiecke vor.

Die Aufstachelung und Befriedigung begann bereits bei den Kindern, stürmisch begrüßt als Befreiung von Frustration.

Unerwünschte Neugeborene wurden von den Müttern erstickt oder irgendwo weggeworfen. Man fand sie vor den Toren auf Schritt und Tritt. Mehrere kaiserliche Erlasse drohten schwere Strafen an, aber die Entwicklung war längst darüber hinweggegangen. Eine Ehe, die in Ordnung war, galt als sicheres Zeichen dafür, daß der Mann ein Tölpel und die Frau ein Blaustrumpf war. Es existierten zwar Ehegesetze, irgendwo lagen sie, aber es ist unwahrscheinlich, daß ein Richter sie noch kannte. Die neue Zeit hatte sich ein neues Gewohnheitsrecht geschaffen: die »Konsens-Ehe«, die den Personenstand der Frau nicht veränderte und nicht mehr berührte. Man pflegte die Ehefrau eines anderen »abzuklopfen« wie eine Partnerin beim Tanz. Niemand oder kaum jemand aus der fortschrittlichen Gesellschaft verdarb das Spiel. Man bildete sexuelle Supermärkte zu dritt, zu viert, ein Gedicht spricht von einer »Kette von fünf«. Wenn das nicht mehr zog, nahm man Haschisch aus dem Orient zu Hilfe.
     »Die Frauen aus der Gesellschaft und die aus der Plebs sind in ihrer Verderbtheit völlig gleich. Die vornehme Dame ist nichts anderes als die Dirne im Schmutz der Straße. Manche verschwenden sich und ihr letztes Geld an Eunuchen und bartlose Knaben; andere suchen ihren Kitzel bei den brutalen Kerlen und groben Sklaven, und manche können nur noch Wollust empfinden beim Anblick von Blut.«
     Eine Delikatesse war, dem Entmannen von Kriegsgefangenen zuzusehen. Und Apuleius beschreibt nicht zufällig die Sodomie zwischen einer Dame und einem brünstigen Eselshengst.

Mit einer Blume im Haar und Belladonna im Ärme1 ging man durch das Leben. Die Jagd nach der Erbschaft war so groß wie die Jagd nach dem Sinnenglück. Es gab eine Hochzeit in Rom, die alles in den Schatten stellte, was die Freiheit bisher geboren hatte: Es heirateten – das ganze Volk war auf den Beinen – ein Mann, der bereits zwanzig Ehefrauen unter die Erde gebracht und beerbt hatte, und eine Dame, die schon zweiundzwanzig Ehemänner von Geld und Leben befreit hatte. Jedermann wußte es, und man schloß Wetten ab, wen es diesmal erwischen würde. Nach einigen Wochen zügelloser Orgien stand das unvorsichtige Opfer fest: die Frau war tot. Als der Ehemann, Palmwedel schwingend, hinter der Bahre durch die Straßen zog, feierte ihn die Menge wie einen Gladiator.

* * *

Das war's. Rom ging sang- und klanglos unter. Es wurde nicht wie Hellas besiegt, zerfetzt, verschlungen; es verunglückte nicht in der Kurve, es prallte mit niemanden zusammen, es stürzte nicht ab und bekam keinen Herzschlag.
Es verfaulte.
Man hatte es retten können. Aber man gab ihm Opium, statt zu schneiden.
Hören Sie, was die Ruinen, was die Säulenstümpfe auf dem Forum Romanum rufen?
Schönen Gruß an die Enkel.


Nachwort:
Fernau schrieb über sich: „Man nennt mich (richtiger: schimpft mich) konservativ. Das stimmt, wenn man darunter einen Mann versteht, dem das Bewahren des Vernünftigen und Guten im Geistigen ebenso wie im Alltäglichen wichtiger ist als das Ändern um des Änderns und das Verwerfen um des »Fortschritts« willen und der nicht um jeden Preis »in« sein will, wie man heute zu sagen pflegt, In allen Büchern habe ich mich bemüht, wahrhaftig und unabhängig im Denken zu sein…“ (Quelle: Wilhelm Goldmann Verlag)
     Fernau's Buch von Aufstieg und Fall des Römischen Reiches wurde ein riesiger Erfolg. Fernau erkennt in der Menschheits-Geschichte (seine Bücher bezeugen es), scheinbar immer, was gut oder böse, was richtig oder falsch ist. Man könnte fast sagen: Fernau beurteilt einwandfrei was mit der Welt, mit den Zeitlichen zu tun hat. – Wo er aber absolut falsch liegt, das ist die Religion, insbesondere die katholische Kirche. Hier hört bei ihm jegliche Verständnis, jegliches wahren Wissens auf.
     Es ist eigentlich sehr schade, wenn ein solcher Mann, wie er, der das Zeitliche so klar sieht, bei der Kirche nur Unwahres sagen kann. Man fragt sich natürlich, woher bei ihm dieses Vorurteil, diese grenzenlose Unwissenheit in Sache Katholizismus kommt? Und dann stößt in seiner Lebensgeschichte auf diese Daten: Er machte sein „Abitur im Jahr 1929 am evangelischen Humanistischen Gymnasium in Hirschberg“ – und versteht man alles: Er hat seine Informationen, sein Wissen über die katholische Kirche, über die katholischen Lehren bei den Protestanten erworben . . . wie so viele andere Menschen, die bei denen fehlgeleitet wurden (ich weiß dies auch aus eigener Erfahrung: ich wurde bis zu meinem 16. Lebensjahr auch evangelisch erzogen).

„Der Historiker Dr. Albert von Ruville (1855-1934), der mehr als 30 Jahre lang – bis zu seinem Tod – an der Universität in Halle an der Saale als Dozent Lehrveranstaltungen hielt, trat 1909 [mit 54 Jahren!] zum katholischen Glauben über. Im Januar 1910 veröffentlichte er seine Bekenntnisschrift „Zurück zur heiligen Kirche – Erlebnisse und Erkenntnisse eines Convertiten“, in der er beschreibt, wie er selbst als Historiker lange Zeit ein völlig falsches Bild von der katholischen Kirche hatte, daß sich vieles völlig anders verhielt, als man ihn von protestantischer Seite gelehrt hatte, ja oft gerade das Gegenteil der Fall war. Sein Weg vom religiös indifferenten jungen Mann zum gläubigen Protestanten und schließlich zum überzeugten Katholiken wird als die kompromisslose Suche des Wissenschaftlers nach der Wahrheit geschildert.“ (Zitat aus dem Vorwort zur Neuauflage 2015 des Buches „Zurück zur heiligen Kirche“ von LINS-Verlag, Feldkirch, Österreich)
     In dem 1. Teil seines Buches – „Meine Heimkehr zur heiligen Kirche“ – schrieb Ruvelli folgendes: „In diesem Buche [„Der alte und der neue Glaube“ von Professor Reinhold], das vornehmlich für Katholiken bestimmt, war mehr das positive Christentum im allgemeinen als die eigentlich katholische Lehre behandelt und gegen Anfechtungen verteidigt. Aber dabei wurden doch beständig die Glaubenssätze der Kirche herangezogen, den üblichen Entstellungen gegenüber maßgebend festgestellt und nach den besten Quellen ausgelegt. Ich las und las und konnte mich vor Erstaunen nicht fassen. Zum ersten Male erhielt ich ein richtiges Bild von der katholischen Kirche, ein sehr unvollständiges Bild, da längst nicht alle Lehren berührt waren, aber doch eine Reihe von wahren Zügen. Und schon daraus ersah ich klar, daß ich von Jugend an ganz falsch über diese Kirche unterrichtet worden war. Alles verhielt sich ganz anders, manchmal gerade umgekehrt, als ich es mir vorgestellt. Alles war so weise, so tiefdurchdacht, so folgerichtig, wie ich es in den eigentlich protestantischen Lehren nie in dem Maße gefunden hatte. Diese erschienen mir daneben wie ein ungeschickter Abklatsch, bei dem die besten Züge entfernt waren. Ich erkannte, daß Lehrer, Pastoren, Theologen, denen ich mein Wissen verdankte, nichts vom Katholizismus verstanden, und sich doch nicht gescheut hatten, in absprechendster Weise darüber zu urteilen, ja oft genug ihren Sarkasmus darüber zu ergießen. Das empörte mein ganzes wissenschaftliches Gefühl. Sie hätten Missbräuche heraussuchen und rügen, sie hätten Entstellungen der Lehre, wie sie auf den katholischen Kanzeln vorkommen mochten, geißeln, sie hätten den Aberglauben tiefstehender Volksklassen verurteilen können, das ließ sich ihnen nicht verbieten, aber sie durften nicht die Kirche als solche und ihren Lehrgehalt derartigen Verzerrungen gleichsetzen. Das war Lüge und Verleumdung, gutgläubige vielleicht, aber doch aus einer ehemals böswilligen entsprungen, zum mindesten ein schwerer Fehler, da es Pflicht der Lehrenden gewesen wäre, die Wahrheit aus den echten Quellen zu erkunden.“ (27-28 S.)

Und weiter: „Über die merkwürdigen Erfahrungen, die mir zur Zeit meines Übertritts zuteil wurden, möchte ich nicht viel sagen. Ich bemerke nur, daß mir der Schritt von manchem weit mehr verübelt wurde, als wenn ich liberaler Protestant, Freidenker, Gottesleugner und was sonst noch geworden wäre. Ich erkannte, die sogenannte Toleranz umfaßte alles, was man wollte, nur nicht die Wahrheit. Davor machte sie halt. Um so freudiger begrüßte ich diese Wahrheit, der ja gerade durch Anfechtung ihr Siegel aufgedrückt wird.“ (40 S.)


22.07.2022


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