(Die in meinem Brief zitierten Sätze sind markiert)


Ein Priester spricht (2)
By zelozelavi, on 8. März 2018

Vor fünf Jahren hatten wir ein Gespräch mit einem Priester geführt über seine Erfahrungen mit der „Piusbruderschaft“. Heute hören wir die Fortsetzung des Gesprächs.

Herr Pater, es ist genau fünf Jahre her, daß wir uns unterhalten haben anläßlich des zweiten Jahrestags Ihres Austritts aus der „Piusbruderschaft“. Ich denke, die Frage ist unnötig, aber haben Sie seither diesen Schritt bereut?

Die Frage ist in der Tat unnötig. Natürlich habe ich auch in den letzten fünf Jahren nichts bereut, außer so lange nutzlos in der „Piusbruderschaft“ gewesen zu sein – immerhin 25 Jahre!

Aber war es wirklich nutzlos? Und ist Ihr Verhalten gegenüber der „Piusbruderschaft“ nicht undankbar, wie manche Ihnen vorwerfen, da Sie ihr doch einiges verdanken?

Ich will durchaus nicht undankbar sein. Ich verdanke es der „Piusbruderschaft“, daß ich Priester bin. Ich verdanke es ihr, daß ich sechs schöne Jahre in einem angenehmen Priesterseminar genießen durfte, ich verdanke es ihr, daß ich weitere 17 schöne Jahre in der Seelsorge verbringen durfte – und doch… Wenn ich mich frage, was die Früchte sind all dieser Jahre, dann zerrinnt alles zwischen den Fingern. Wenn ich mich heute an diese schönen Jahre erinnern will, so liegt über allem ein düsterer Schleier, sind all diese Erinnerungen mit einem bitteren Geschmack überzogen, da ich all diese Jahre auf einem falschen Weg gewesen bin und es nicht gemerkt habe. Das tut schon weh. Zumal ich die ganze Zeit bemüht und überzeugt war, nur dem Willen Gottes zu folgen. Wenn man in Sünde gelebt hat und es hinterher bereut, dann ist das was anderes. Die Erinnerung ist dann auch bitter, aber diese Bitterkeit kommt von der eigenen Schuld und wird durch die Reue gesühnt und versüßt. Aber wenn man ein Vierteljahrhundert in die Irre gegangen ist, ohne bei sich selber die Schuld dafür zu finden, kann man es nicht einmal richtig bereuen.

War es wirklich ohne eigene Schuld?

Ich meine natürlich nicht, daß ich die ganze Zeit ohne Sünde gewesen wäre. Wer solches behaupten wollte, wäre ein Lügner, wie die Heilige Schrift sagt. Ich meine, daß ich mir nicht bewußt bin, mich an irgendeinem Punkt falsch oder gegen den Willen Gottes entschieden zu haben. Ich war mir z.B. absolut sicher, daß Gott mich in das Seminar der „Piusbruderschaft“ geführt hat und hatte daran nie den geringsten Zweifel. Ich habe damals gar keine Alternative gesehen, und so kann ich mir auch nicht vorwerfen, nach meinem eigenem Kopf vorgegangen zu sein. Warum Gott das alles so zugelassen hat, weiß ich nicht.

Als ehemaliger Lefebvrist ist es nicht leicht, von den eingefleischten „Sedisvakantisten“ anerkannt zu werden. Oder wie sehen Sie das?

Es gibt eine Reihe „Sedisvakantisten“, die von der „Piusbruderschaft“ kommen, so z.B. das Institut „Mater Boni Consilii“ in Turin oder die Gruppen in den USA von Sanborn und Dolan. Dann gibt es aber „Sedisvakantisten“, die nie etwas mit dem Lefebvrismus zu tun hatten, die diesen sogar immer bekämpft hatten. Diese haben naturgemäß oftmals gewisse Vorurteile gegen Ex-Lefebvristen.

Ein Streitpunkt ist die Frage der Gültigkeit der Weihen Lefebvres, nicht wahr?

Ja, es gibt eine Reihe „Sedisvakantisten“, die behaupten, Lefebvre sei nicht gültig geweiht gewesen, weil der Bischof, der ihn geweiht hat, ein Freimaurer gewesen ist. Somit seien auch alle Weihen, die Lefebvre gespendet hat, ungültig gewesen. Lefebvre sei sich dessen bewußt gewesen und habe sich dennoch stets geweigert, sich wenigstens „sub conditione“ nachweihen zu lassen, obwohl ihm das mehrfach angeboten worden sei.

Und was halten Sie davon?

Diese Argumentation ist nicht haltbar. Die Kirche hat die Zugehörigkeit zur Freimaurerei zwar verurteilt, sie hat darin aber nie einen Grund gesehen, der aus sich Sakramente zweifelhaft oder ungültig machen würde. Wenn es keinen vernünftigen Grund gibt, an der Gültigkeit eines Sakraments zu zweifeln, darf man es auch nicht wiederholen, nicht einmal „sub conditione“. Darum hat Erzbischof Lefebvre recht gehabt, wenn er sich weigerte, „nachgeweiht“ zu werden.

Sie haben also nie Zweifel an der Gültigkeit Ihrer eigenen Weihe gehabt?

Nein. Primär entscheidend ist der Ritus. Die Kirche geht davon aus, daß ein Sakrament gültig zustandegekommen ist, wenn der Ritus – und zwar der Ritus der Kirche – richtig angewandt wurde. Das war bei sowohl bei der Priester- als auch bei der Bischofsweihe Mgr. Lefebvres zweifellos der Fall. Er selber hat es ebenso gemacht, und darum kann ich keine Zweifel haben. Anders wäre es, wenn Lefebvre im „neuen“ Ritus geweiht worden wäre oder selber im „neuen“ Ritus die Weihen gespendet hätte. Dann hätte ich mich selbstverständlich nachweihen lassen. So aber gibt es keinen Grund dafür.

Was sagen Sie den Gläubigen, die Zweifel an der Gültigkeit Ihrer Weihe haben?

Ich kann ihnen nur das sagen, was ich eben gesagt habe. Wenn sie trotzdem weiter zweifeln, kann ich ihnen nicht helfen. Ich kann ihnen dann natürlich auch keine priesterlichen Dienste leisten, da sie mich ja nicht einmal als Priester anerkennen. Das ist zwar bedauerlich, aber ich kann es nicht ändern. Leider fehlt uns derzeit jene Autorität, die solche Fragen verbindlich für alle entscheiden kann, und so muß jeder seinem Gewissen folgen.

Gibt es noch andere Vorurteile gegen Ex-Lefebvristen bei den „Sedisvakantisten“?

Ja, natürlich, und nicht einmal ganz zu unrecht. Der Lefebvrismus ist ein komplettes, ideologisches System. Wenn man in so einem System steckt, kommt man nur schwer wieder heraus. Den meisten gelingt es nie, ihre Vergangenheit ganz zu überwinden. Irgendwo hinterläßt der Lefebvrismus immer seine Spuren. Viele Ex-Lefebvristen verfallen beispielsweise dem „Sedisprivationismus“, der eine Art Semi-Lefebvrismus ist. Oder sie fangen sofort wieder an, eine „Bruderschaft“ aufzubauen mitsamt einem „Generaloberen“, Bischöfe zu weihen, Frauen- oder Männerorden zu gründen und dergleichen mehr. Meist findet man auch eine einseitige Überbetonung der Liturgie usw. Es gibt sogar solche, die den Personenkult um Erzbischof Lefebvre weiterbetreiben und behaupten, in Wahrheit sei er „Sedisvakantist“ gewesen. Vor allem aber bewahren die meisten gewisse lefebvristische Unarten wie das Hängen an Geld und Besitz oder den Geist der Willkür, das Außerachtlassen von Recht und Herkommen. Es ist z.B. nicht nur die „Piusbruderschaft“, die ihre Priester nach Belieben mittellos auf die Straße setzt. Bei „Sedisvakantisten“ lefebvristischer Provenienz gibt es das auch.

Können Sie vielleicht kurz erklären, was „Sedisprivationismus“ ist und inwieweit dieser als Semi-Lefebvrismus gelten kann.

Gerne. „Sedisprivationismus“ nennen wir die „Cassiciacum-These“ des Guérard des Lauriers, eines Dominikaners, der Professor an der Lateran-Universität war und von Pius XII. sehr geschätzt wurde. Aus seiner Feder stammt im wesentlichen die „Kurze Kritische Untersuchung des Novus Ordo Missae“, die auch „Ottaviani-Intervention“ gennant wird, weil sie unter dem Namen der Kardinäle Ottaviani und Bacci herausgegeben wurde. Nach dem „II. Vatikanum“ war er ein Mitstreiter von Lefebvre und unterrichtete sogar im Seminar von Ecône, bis es zum Zerwürfnis kam. Des Lauriers vertrat die Auffassung, daß Paul VI. nur materiell Papst sei, nicht aber formell, d.h. er sei zwar legitim gewählt, habe aber nicht die päpstliche Autorität inne. Man nennt diese These daher auch die „materialiter-formaliter“-These. Mit über 80 Jahren ließ sich des Lauriers von Erzbischof Thuc zum Bischof weihen und begründete eine eigene kleine Sukzession von „Sedisvakantisten“-Bischöfen.

Und wo liegen hier die Parallelen zum Lefebvrismus?

Beide, sowohl der Lefebvrismus wie der „Sedisprivationismus“, versuchen den Spagat zu schlagen zwischen Papst ja und Papst nein. Sie wollen beides zugleich. Die Lefebvristen tun das, indem sie sagen: Wir anerkennen ihn als Papst, aber wir folgen ihm nicht. „Recognize and Resist.“ Die „Sedisprivationisten“ sagen: Wir geben zu, daß er legitim gewählt und daher materiell Papst ist, aber er hat die päpstliche Autorität nicht empfangen und ist daher formell nicht Papst. Im Grunde läuft es auf dasselbe hinaus: Wir haben irgendwie noch einen Papst, wenigstens nach der rein rechtlichen, „materiellen“ Seite, sodaß gewisse äußerliche Strukturen noch erhalten sind, z.B. das Kardinalskollegium, das den Papst wählt, aber wir brauchen dem Papst nicht zu gehorchen, weil er „Modernist“ ist oder weil er formell gar nicht Papst ist.

Aber ganz dasselbe ist das ja wohl nicht.

Freilich gibt es Unterschiede. Die „Sedisprivationisten“ sind theologisch viel fundierter. Sie versuchen, die kirchlichen Dogmen zu respektieren, und ihre Theorie ist sehr viel subtiler. Auffällig ist jedoch, daß sie ihre These – bei ihnen meist nur „Die These“ genannt, so wie bei den Lefebvristen Lefebvre nur „Der Erzbischof“ ist und bei den Modernisten das „II. Vatikanum“ nur „Das Konzil“ – wie eine Monstranz vor sich hertragen, sie immer und überall anbringen müssen, sei es gelegen oder ungelegen, und regelrecht ein Dogma daraus machen, ja sogar ein Super-Dogma.

Wie das?

Sie machen „Die These“ zur Grundlage ihres Glaubens und Handelns. So weigern sich „sedisprivatistische“ Bischöfe, jemanden zu weihen, der nicht ihre „These“ vertritt, und „sedisprivationistische“ Gemeinschaften nehmen niemanden auf oder lassen keinen in ihr Seminar, der nicht vorher per Unterschrift seine Zustimmung zu „Der These“ gegeben hat. Damit tun sie dasselbe wie die „Piusbrüder“, die ebenfalls ihre Weihekandidaten per Unterschrift auf ihre Parteiideologie verpflichten. Wer bei ihnen geweiht werden will, muß eine sog. Treueerklärung unterzeichnen, in welcher es heißt, daß man Bergoglio als „Papst der heiligen katholischen Kirche“ anerkenne und bereit sei, „für ihn als Papst öffentlich zu beten“, während man ihm gleichzeitig jedoch „die Gefolgschaft in seiner Abwendung von der katholischen Tradition“ verweigere. Beide, die „Sedisprivationisten“ wie die „Piusbrüder“, handeln damit nicht nur gegen den Geist der Kirche, die solche albernen Versprechen nie verlangt hat, sondern nach meiner Meinung auch sittenwidrig. Denn man darf niemanden auf eine theologische Meinung verpflichten – schon gar nicht auf eine irrige – und das auch noch zur Bedingung für die Weihe machen.

Was meinten Sie oben mit dem „Überbetonen des Liturgischen“?

Die Lefebvristen haben die „alte Messe“ in den Mittelpunkt gestellt. Es geht ihnen vor allem darum, daß die „alte Messe“ gefeiert wird, daß sie möglichst feierlich begangen wird und möglichst viele Gläubige möglichst oft daran teilnehmen.

Was ist daran falsch?

Im Grunde nichts, wenn man es in den richtigen Kontext stellt. Nun ist aber die „alte Messe“ der Lefebvristen bereits eine „reformierte“ Messe, die ein frühes Stadium auf dem Weg zum „Novus Ordo Missae“ darstellt. Zweitens ist es nicht die „alte Messe“ allein, um die es geht, und es ist nicht die „alte Messe“ allein, die wieder alles richten und herstellen wird. Die Messe gehört in den Gesamtzusammenhang der Kirche und des Glaubens. Darum ist eine „Freigabe der alten Messe“, wie die Lefebvristen sie immer gefordert haben, ein völliger Unsinn, ebenso wie das Streben der „Piusbrüder“, im Inneren der „konziliaren Kirche“ ihr „Experiment der Tradition“ machen zu dürfen. Die Heilige Messe paßt nicht in die „konziliare Kirche“. Beides ist unvereinbar. Drittens ist die Heilige Messe nicht in erster Linie für die Gläubigen da, sondern zur Ehre Gottes. Wer das bedenkt, wird sich vor Profanierungen wie „Fernseh“- und „Live-Stream-Messen“ hüten.

Wieso sind das Profanierungen?

Josef Pieper nennt es so, weil, wie er sagt, dadurch die „Schranke gegenüber dem profanen Bereich“ durchbrochen ist. Denken Sie nur, wie nun die Messe im Fernsehen inmitten von Krimis, „Talk-Shows“, billiger und oft genug schmutziger Unterhaltung auftaucht, oder im Internet, dessen Spektrum ja noch viel weiter reicht. Nein, in eine solche Umgebung gehört die Heilige Messe nicht.

Aber Sie nutzen ja auch das Internet…

Ja, zur Verkündigung. Aber nicht für die Heilige Messe. Zur Verkündigung sind die Apostel auch auf die Straße und auf Marktplätze gegangen, aber doch nicht, um dort die Messe zu feiern.

„Live-Stream-Messen“ haben die „Sedisvakantisten“ ebenfalls.

Ja, leider. Das zeigt, wie weit wir von einem gesunden katholischen Empfinden entfernt sind, wir alle! Was mir auch auffällt, ist diese Betonung des Äußeren: prachtvolle Kirchenbauten, prunkvolle Zeremonien… Die „Piusbruderschaft“ tut sich da besonders hervor, auch das „Christkönigsinstitut“, aber viele „Sedisvakantisten“ stehen ihnen in nichts nach.

Was haben Sie dagegen einzuwenden?

Es paßt ganz einfach nicht. Wir leben nicht in einer Zeit des Triumphs der Kirche, sondern in einer Zeit der Bedrängung, des Niedergangs. Es kommt mir so falsch vor, in dieser Zeit großartige neugotische Kirchenbauten hinzuklotzen und sich an herrlichen Zeremonien zu ergötzen, während die Kirche darniederliegt und die Katholiken in der Zerstreuung darben und nicht einmal eine Sonntagsmesse haben. Da liegt der Akzent ganz einfach falsch. Das ist das, was ich mit einer Überbetonung der Liturgie meine. Eine kleine, einfache, aber schöne Kapelle, wie wir sie haben, mit einer schlichten, aber würdig gefeierten Heiligen Messe – das ist es, was unseren Verhältnissen viel eher entspricht.

Zurück zu den „Unarten“, die Sie den Lefebvristen vorwerfen; die gibt es ja doch wohl anderswo auch, oder nicht? Z.B. das Hängen an Geld und Besitz, die Willkür usw.?

Natürlich, das gibt es überall. Aber in Systemen, die kein höheres Recht kennen als ihren eigenen Nutzen, finden sich diese Unarten besonders ausgeprägt und vor allem quasi systematisch. Sehen Sie, die „Piusbruderschaft“ hat ja niemanden über sich – außer Gott natürlich, aber der ist bekanntlich geduldig. Da sie keine „kirchliche Anerkennung“ hat, ist sie von den „kirchlichen Behörden“ unabhängig, und den staatlichen ist sie nur unterworfen, soweit sie als bürgerlicher Verein anerkannt und greifbar ist. Deshalb kann sie z.B. ihre Priester beliebig „auswerfen“ und glaubt diesen nichts schuldig zu sein, da es kein rechtlich faßbares Verhältnis gibt. Ihre Priester sind weder Mitglieder des Vereins noch gibt es einen Arbeitsvertrag. Vor einem staatlichen Gericht hat ein solcher Priester daher keine Chance, wenn er gegen die „Piusbruderschaft“ klagt – wie die Erfahrung schon oft gezeigt hat. Und ein „kirchliches“ Gericht erklärt sich sowieso für nicht zuständig.

Das wirkt sich auch auf den Umgang mit dem Geld aus, nicht wahr?

Natürlich. In Deutschland hat die „Piusbruderschaft“ den „Verein St. Pius X.“ als ihr zivilrechtliches Standbein. Diesem Verein gehört fast alles, alle „Priorate“, Kapellen und Meßzentren der „Piusbrüder“ in Deutschland. Zwar hat jedes „Priorat“ und jede Kapelle ein eigenes Konto, aber der „Distrikt“ hat die Verwaltung oder wenigstens Zugriff auf die Konten, denn das Konto läuft ja auf den Verein. Schon vor vielen Jahren hatte sich der Brauch eingebürgert, daß sich der „Distrikt“, wenn er Geld braucht, bei den Konten der „Priorate“ oder Kapellen bedient. Man nannte das „Konten abräumen“. Das ist zwar schwer ungerecht, aber was konnte man dagegen machen? Ein „Distriktoberer“ hat diesen Brauch vom anderen übernommen, und der „Prior“ war machtlos dagegen. Zweimal habe ich erlebt, daß ein neuernannter „Distriktoberer“ zu Beginn seiner Amtszeit hochheilig versprach, er werde diesen Mißstand abschaffen, ja einer gelobte sogar, alles wieder gutmachen zu wollen, d.h. alle „abgeräumten“ Gelder zurückzuerstatten. Aber es geschah nichts, und nach einiger Zeit war alles wieder beim Alten. Ein anderes Beispiel: Wenn jemand der „Piusbruderschaft“ eine Erbschaft hinterläßt, geht sie an den Verein. Als ich „Pius-Prior“ war, hatte unser „Priorat“ eine Erbschaft erhalten. Nach strikter Gerechtigkeit und moralisch schwer verpflichtend muß eine Spende oder Erbschaft für genau den Zweck verwendet werden, den der Spender oder Erblasser im Sinn hatte. Sie darf für nichts anderes gebraucht werden, auch nicht vorübergehend. In diesem Fall war die Erbschaft eindeutig für unser „Priorat“ bestimmt. Sie ging aber natürlich an den Eigentümer, den „Verein St. Pius X.“ mit Sitz in Stuttgart – und dort ist sie auch geblieben. Sie ist dort „versickert“, wie der damalige „Distriktsökonom“ es mir gegenüber so schön ausdrückte. Sie ist nie in unserem „Priorat“ angekommen. Und ich hatte keinerlei rechtliche Handhabe dagegen. Solche Dinge sind in der „Piusbruderschaft“ gang und gäbe.

Aber es gibt doch immerhin noch einen „Generaloberen“, bei dem man sich beschweren kann.

Der „Generalobere“ ist stets der „erste Vorsitzende“ des genannten Vereins, der „Distriktobere“ ist der „zweite Vorsitzende“. Da können Sie sich vorstellen, wieviel Sinn es hat, in einem Rechtsstreit mit dem Verein an den „Generaloberen“ zu appellieren. „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“, sagt das Sprichwort. Nein, wer da sein Recht bekommen will, hat in der „Piusbruderschaft“ keine Chance und sonst auch nirgendwo. Nur vor dem ewigen Richter kann er seine Klage einbringen. Das ist leider die traurige Wahrheit, durch viele Erfahrungen belegt, nicht zuletzt durch meine eigenen.

In letzter Zeit sind Vorwürfe gegen die „Piusbruderschaft“ laut geworden, daß es dort zu Fällen „sexuellen Mißbrauchs“ durch Priester gekommen sei, die von den Oberen vertuscht oder nicht geahndet wurden. Was wissen Sie darüber?

Ich habe dazu keine speziellen Informationen und kann daher nichts darüber sagen als das, was man überall lesen konnte. Nur hätte es mich gewundert, wenn solches in der „Piusbruderschaft“ nicht vorkommen würde. Ich habe unlängst einen Film gesehen über die Mißbrauchsopfer, die sich vor einigen Jahren in der Diözese Lyon erhoben haben. Es hat mich schwer erschüttert, wie leichtfertig und nachlässig die Verantwortlichen mit der ganzen Sache umgegangen sind, bis hinauf zum Herrn „Kardinal“. Mir scheint, ein jedes System neigt dazu, den Selbsterhalt allem anderen voranzustellen. Da geht es dann nicht um Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern nur um Aufrechterhaltung des Systems und Schadensbegrenzung. Nach außen das Gesicht zu wahren ist wichtiger als Recht zu schaffen. Wenn ein Priester sich solche Dinge zuschulden kommen läßt, dann ist das für die „Oberen“ eher lästig; zuerst wollen sie gar nichts davon hören, und wenn es nicht anders geht, versuchen sie, sich dieser „Unannehmlichkeit“ so schnell und unauffällig wie möglich zu entledigen: eine Versetzung, Ruhigstellung der Betroffenen, sodaß möglichst nichts nach außen dringt – fertig ist die „Problembewältigung“, und man kann wieder weitermachen wie gehabt. Dabei interessiert es sie nicht, daß dieser Mißbrauchstäter ebenfalls weitermacht wie gehabt.

Was müßte denn nach Ihrer Meinung in so einem Fall geschehen?

Man hätte ganz einfach das Kirchenrecht anzuwenden (das Kirchenrecht von 1917 wohlgemerkt, nicht das „neue“), das für so einen Fall die Suspendierung des Priesters vorsieht. Außerdem ist er für irregulär zu erklären, verliert alle Ämter und Würden und wird auch nie mehr welche erlangen. Natürlich erst nach einer sorgfältigen Untersuchung und einem gerechten Verfahren. So aber reagiert weder die „konziliare Liebeskirche“ noch die „Piusbruderschaft“. Hingegen wenn ein Priester unangenehme Wahrheiten sagt oder Fragen stellt, dann wird er gleich „gefeuert“. Aber so verhalten sich alle diese Systeme, denke ich, nicht nur die religiösen, auch die politischen und bürgerlichen. Nur ist dieses Verhalten umso ärgerlicher, wenn man sich betont „traditionell“ katholisch gibt und sich die „Erneuerung der Kirche und der Gesellschaft“ auf die Fahnen geschrieben hat. Von den laizistischen Staaten und Gesellschaften erwartet man ja ohnehin nichts, aber wenigstens von einer religiösen Gemeinschaft würde man doch annehmen, daß sie sich an Gottes Gebote hält und Recht und Gesetz respektiert.

A propos laizistische Staaten, Recht und Gesetz: Was denken Sie über die „Corona-Krise“?

Es ist ja alles zu etwas gut, auch die „Corona-Krise“. Unter dem, was wir ihr verdanken, ist die Erkenntnis, wie erstaunlich schnell eine „freiheitlich demokratische Rechtsordnung“ außer Kraft gesetzt ist und wie ein solcher Staat zu Maßnahmen greift, die man nur noch unmenschlich nennen kann. Das geht gewissermaßen per Verwaltungsakt mit einem Federstrich. Und dann auch noch weltweit! Und wie bereitwillig und brav alle mitmachen! Der Antichrist wird leichtes Spiel haben, wenn er kommt.

Was meinen Sie mit „unmenschlich“?

Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Es ist daher unmenschlich, die sozialen Kontakte zu unterbinden. Besonders unmenschlich ist das bei den Alten, Kranken und Pflegebedürftigen, wenn diese nicht einmal von ihren Angehörigen oder vom Priester besucht werden dürfen. Das hat es so bisher nicht einmal in Zeiten so ansteckender und tödlicher Seuchen wie der Pest oder der Cholera gegeben.

Und was sagen Sie zum „Gottesdienstverbot“? Es wurde ja von „traditioneller“ Seite vielfach beanstandet, daß der Staat sich in die Interna der Kirche eingemischt habe, und die „Bischöfe“ wurden kritisiert für ihre allzu bereitwillige Dienstfertigkeit dem Staat gegenüber.

Der laizistische Staat wird sich immer Übergriffe in kirchliche Belange gestatten, das ist gewissermaßen seine Natur. Allerdings waren es in diesem Fall tatsächlich die „Bischöfe“, die zumeist im „vorauseilenden Gehorsam“ die staatlichen Vorgaben nicht nur erfüllten, sondern sogar übererfüllten, indem sie mehr taten als überhaupt verlangt war. Sie machten nicht einmal den Versuch, sich zu wehren, z.B. mit den Politikern zu verhandeln oder vor ein Gericht zu gehen. Als ein Priester aus Berlin auf eigene Faust eine gerichtliche Klage einbrachte, wurde er von den „Bischöfen“ dafür getadelt. Es sind das dieselben „Bischöfe“, die den Bischöfen aus der Zeit der Nazi-Diktatur vorwerfen, „den Verbrechen des NS–Regimes im II. Weltkrieg nicht energisch genug widersprochen zu haben“! Damals riskierte mancher Bischof Kopf und Kragen. Was aber riskieren die heutigen „Bischöfe“?

Auch die „Piusbruderschaft“ wurde aus dem „Pius-Widerstand“ kritisiert, weil sie alles brav mitgemacht hat…

Naja, es blieb ihr wohl nicht viel anderes übrig. Wir mußten ja auch unsere öffentlichen Gottesdienste einstellen. Das Risiko wäre zu groß gewesen. In einer Kapelle der „Piusbrüder“ soll es vor einigen Wochen passiert sein, daß während einer Meßfeier, die trotz Verbots abgehalten wurde, die Polizei bei der Wandlung die Messe unterbrach und ein Bußgeld in astronomischer Höhe fällig wurde. Die „Piusbruderschaft“ kann sich ein solches Bußgeld vielleicht leisten, wenn auch nicht allzu oft. Für uns wäre es der Ruin. Außerdem könnte es passieren, daß Kapellen ganz geschlossen bzw. öffentliche Messen dort ganz verboten werden. Da ist es eine Sache der Klugheit, den Anordnungen Folge zu leisten, solange nicht das Heil der Seelen auf dem Spiel steht. Ein paar Wochen ohne Hl. Messe auskommen zu müssen, gefährdet das Heil der Seelen per se nicht.

Wann würde das Seelenheil auf dem Spiel stehen?

Wenn jemand im Sterben liegt zum Beispiel. Dann wäre der Priester verpflichtet, ihm die Sterbesakramente zu spenden, selbst wenn er sich dabei selber in Lebens- oder Ansteckungsgefahr bringen würde. Allerdings wäre das bei den strikten Verboten der „Corona-Krise“ nicht möglich gewesen. Man hätte in einem Krankenhaus oder Pflegeheim den Priester gar nicht zum Sterbenden gelassen. Das ist das, was ich „unmenschlich“ genannt habe, in diesem Fall zum schweren Nachteil der unsterblichen Seele. Hier überschreitet der Staat eindeutig seine Kompetenz. Wenigstens die Seelsorge an Kranken und Sterbenden dürfte er nicht unterbinden.

Das gilt doch wohl auch für die Sakramentenspendung?

Ja natürlich. Der Staat hat da nichts mitzureden. Er kann nicht verbieten, die Sakramente zu spenden, und er kann nicht vorschreiben, wie die Sakramente zu spenden sind. Die Kirche selber hat gewisse Vorgaben gemacht, wie ein Priester sich in besonderen Fällen, z.B. bei ansteckenden Krankheiten, zu verhalten hat, und jeder vernünftige Priester wird sich daran halten. Die Kirche ist eine vollkommene Gesellschaft, ebenso wie der Staat, und sie regelt diese Dinge selber.

Können Sie ein Beispiel geben?

Ja. Die Kirche erlaubt z.B., unter gewissen Umständen die Letzte Ölung mit einem Stäbchen vorzunehmen. Heute gibt es ja diese praktischen Wattestäbchen. So kann der Priester das Sakrament spenden, ohne den Kranken zu berühren.

Denken Sie, daß die „Corona“-Maßnahmen insgesamt überzogen waren bzw. sind?

Ja, schon, aber das ist kein Wunder. Ich glaube, es war Donoso Cortes, der gesagt hat, daß der Staat eigentlich immer übertreibt, wenn er etwas meint in die Hand nehmen zu müssen. Deshalb sollte sich der Staat möglichst zurückhalten und nur da eingreifen, wo es wirklich notwendig ist. Anstatt z.B. alle Bürger in „Schutzhaft“ zu nehmen und alle Länder abzuschotten, hätte man sich auf Risikogruppen und Infektionsherde konzentrieren sollen. Schweden hat ja vorgemacht, daß es auch weniger hysterisch geht.

Es gab einen „Aufruf“ von einigen „katholischen Würdenträgern“, in welchem gesagt wurde, es handle sich um „ein beunruhigendes Vorspiel zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht“. Würden Sie dem zustimmen?

Jeder Christ weiß, daß am Ende der Zeiten der Antichrist auftreten und seine Weltdiktatur errichten wird; er weiß, daß dieses „Geheimnis der Bosheit“ schon lange am Wirken ist und viele „Antichristen“, d.h. Vor- und Wegbereiter, bereits erschienen sind. In den letzten Jahrhunderten hat man dem allmählichen Entstehen dieses antichristliche Reichs zuschauen können, und seit etwa zwanzig Jahren haben die Anstrengungen enorm Fahrt aufgenommen. Insofern paßt diese „Krise“ schon ins Schema. Ich denke freilich, daß viele Faktoren dazu beigetragen haben, aber man braucht kein „Verschwörungstheoretiker“ zu sein, um festzustellen, daß einige Faktoren darunter sind, die gewissermaßen in „unbekannte Tiefen“ reichen. Wieso ist ein Land plötzlich bereit, ohne Not seine eigene Wirtschaft zu opfern? Und wieso nicht nur ein Land, sondern alle Länder auf einmal – und zwar Länder mit verschiedensten Menschen, Verhältnissen, Verfassungen und Interessen? Wieso ergreift man Maßnahmen, die offensichtlich kontraproduktiv sind, und ist auch nicht bereit, diese zu korrigieren, wenn sie sich als eindeutig falsch erwiesen haben, sondern verschärft und verteidigt sie noch mit allen Mitteln? Wieso hat man den Eindruck, daß nicht das Wohl des Volkes und des Landes im Vordergrund steht, sondern irgendwelche anderen Interessen? Da kommt man schon ins Grübeln und beginnt unwillkürlich, Absichten und Hintergründe zu vermuten, die nicht unmittelbar einsichtig sind.

Meinen Sie, daß die „Corona-Krise“ bald vorübergehen wird?

Nein. Anfangs dachte ich das noch. Aber inzwischen sieht man ja, daß man uns nicht zur Tagesordnung zurückkehren lassen will. Man wird uns eine „neue Normalität“ aufdrängen, die der Sozialnatur des Menschen widerspricht und die es in dieser Form auf dieser Erde noch nie gegeben hat. Das hat eindeutig etwas Apokalyptisches. Aber wir als Christen sollten gerade deshalb die tieferen geistigen Gründe sehen und beachten.

„Weihbischof“ Schneider soll die „Corona-Krise“ als Strafe für die „Handkommunion“ bezeichnet haben.

Das ist „Tradi-Populismus“. Er verkürzt und simplifiziert die Dinge auf oberflächliche und plakative Bilder und Schlagwörter. Es ist ja leider in „Tradi“-Kreisen schon seit Jahrzehnten eine verbreitete Fehlsicht, die „Handkommunion“ für das größte aller Übel zu halten. Das ist sie nicht. Übrigens hat derselbe Schneider unlängst gesagt, die „Handkommunion“ sei keine Sünde, solange sie von „Rom“ erlaubt sei. Wenn sie keine Sünde ist, wieso sollte es dafür eine Strafe geben?

„Kardinal“ Brandmüller hat unlängst einen Beitrag veröffentlicht, in welchem er die „Handkommunion“ zu verteidigen scheint…

Das ist Unsinn. Natürlich war die Art der Kommunionausteilung nicht immer und überall die gleiche. Die römisch-katholische Kirche hat sich jedoch nicht umsonst schon seit Jahrhunderten auf jene Form festgelegt, wie wir sie kennen: Die Kommunion wird nur unter der Gestalt der Hostie ausgeteilt und vom Priester auf die Zunge des Kommunizierenden gelegt. Die „Handkommunion“, wie sie heute praktiziert wird, ist per se sakrilegisch. Sie ist nur „per accidens“ nicht sakrilegisch, weil das, was dort ausgeteilt wird, gar nicht der Leib Christi ist, sondern gewöhnliches Brot. Damit sind wir bei dem zugrundeliegenden Problem, dem „Novus Ordo“, und damit auch gleich bei dem eigentlichen Übel, nämlich der Menschenmachwerkskirche des „II. Vatikanums“, die diesen „Novus Ordo“ hervorgebracht hat – und übrigens auch die „Handkommunion“ abgesegnet hat, weshalb sie ja laut Schneider „keine Sünde“ ist.

Was denken Sie von all den Verrücktheiten, die jetzt in den „Novus-Ordo“-Kirchen praktiziert werden als „Corona-Ritus“, z.B. die „Kommunion“-Austeilung auf dem Tablett oder mit Mundschutz und Handschuhen oder Pinzette?

Wer noch Illusionen hatte über die Menschenmachwerkskirche und ihren „Novus Ordo“, dem sollten spätestens jetzt die Lichter aufgegangen sein. Es sind ja solche „Krisen“ immer ganz gut, weil sie Dinge deutlich an die Oberfläche bringen, die sonst oft kaschiert bleiben. Das ist auch bei den „Traditionalisten“ so, die ja ebenfalls einen recht blühenden Einfallsreichtum an den Tag gelegt haben, von „Drive-In“-Messen in Autokinos bis hin zu „Fernseh-Altären“. Da sieht man, wie weit das Verständnis des Übernatürlichen und Heiligen geschwunden ist. Das ist auch kein Wunder, wenn man das Maß immer an der Menschenmachwerkskirche nimmt und diese – horribile dictu – als die heilige Kirche Christi anschauen will.

Aber haben war das bei Ihnen nicht ebenso, als Sie noch Lefebvrist waren?

Ja, leider, Gott sei‘s geklagt! Ich kann es im nachhinein gar nicht mehr begreifen, wie ich so blind sein konnte. Aber ich war fest überzeugt, ganz katholisch zu sein und für die gute Sache der Kirche zu kämpfen. Ich hatte keinerlei Bedenken, denjenigen, den ich für den Papst der Kirche hielt, zu kritisieren und von oben herab zu beurteilen. Ich hielt mich dazu für berechtigt, weil ich ja auf der Seite der „Tradition“ stand. Ich nannte „Papst“ und „Bischof“ im Kanon der Hl. Messe und hatte keinerlei Hemmungen, mich ihnen gegenüber völlig frei, unabhängig und überlegen zu fühlen.

Haben Sie sich denn nie mit dem „Sedisvakantismus“ beschäftigt?

Nein. Die „Sedisvakantisten“ waren aus meiner Sicht eine unbedeutende Randgruppe. Nur, wenn ich seelsorglich mal damit zu tun hatte, weil einer unserer Gläubigen sich von „sedisvakantistischer“ Seite „irritieren“ hatte lassen, habe ich mich damit ein wenig beschäftigt. Aber ich habe nie verstanden, welches Problem die „Sedisvakantisten“ damit haben, jemanden für den Papst anzusehen, der offensichtlich nicht katholisch ist.

Für Sie war das kein Problem?

Nein. Für mich war das eine rein äußerliche, formalrechtliche Angelegenheit. Ich sah das so: Wenn mich jemand fragt, wer in Deutschland Kanzler ist, dann sage ich eben „Merkel“. Das heißt überhaupt nicht, daß ich irgendwie mit ihr einverstanden bin oder mit dem, was sie sagt und tut. Ebenso sage ich im Kanon der Hl. Messe eben „Johannes Paul“ oder „Benedikt“, ohne daß das irgendwie heißt, daß ich mit ihnen oder ihren falschen Lehren einverstanden wäre. Erst als ich schon daran war, die „Piusbruderschaft“ zu verlassen, ist mir aufgegangen, daß das im Grunde Nominalismus ist und „Papst“ in dieser Sicht gar nichts mehr bedeutet. Ja, daß „Papst“ dann noch weniger bedeutet als Bundeskanzler oder Ministerpräsident. Denn den Anordnungen von Frau Merkel, Herrn Kurz oder Herrn Söder und wie sie heißen, muß ich – wenn es nichts Sündhaftes ist, was sie verlangen – folgen, ob ich will oder nicht – z.B. in der „Corona-Krise“. Dem Papst – immerhin dem Stellvertreter Christi! – aber brauchte ich überhaupt nicht und nirgends folgen. Da ist mir klar geworden, daß da was nicht stimmt.

Dann sind Sie „Sedisvakantist“ geworden?

Ich liebe diesen Ausdruck gar nicht. Ich bin kein „Sedisvakantist“, sondern – wie ich hoffe – katholisch, oder ich versuche wenigstens, es zu sein. Es ist nämlich gar nicht so einfach, das katholische Gespür, dieses „Sentire cum Ecclesia“ wiederzubeleben, das den Katholiken früherer Zeiten selbstverständlich war, uns aber völlig verlorengegangen ist. Und das nicht erst seit heute. Der Liberalismus hat da ganze Arbeit geleistet. Und der „Traditionalismus“ und Lefebvrismus ist leider eine Frucht des Liberalismus. Darum muß man sich von ihm befreien, wenn man wieder wirklich katholisch werden will. Und dazu ist es leider notwendig, die „Piusbruderschaft“ und Erzbischof Lefebvre zu „entmythologisieren“. Solange man Lefebvre immer noch für einen begnadeten, heiligmäßigen Bischof und die „Piusbruderschaft“ für ein gottgewolltes Werk hält, wird man nie aus den Fängen des „Traditionalismus“ gelangen. Das war auch bei mir ein langer und mühevoller Prozeß.

Meinen Sie, daß Sie es inzwischen geschafft haben, die „Eierschalen“ sozusagen abzulegen?

Nein. Ich bemerke immer wieder, wie tief der Lefebvrismus mich geprägt hat. Erzbischof Lefebvre war ja für mich wirklich ein großes Vorbild, und da übernimmt man so vieles, oft ganz unbemerkt – was ja im Grunde auch ganz normal ist. Das geht bis hin zu der Art, die Messe zu lesen. Im Seminar wird man nicht nur ausgebildet, sondern geformt. Und das soll ja auch so sein. Ich habe mich auch ganz bewußt formen lassen wollen. Das war der wesentliche Grund, warum ich in ein Lefebvre-Seminar gegangen bin, weil ich dachte, nur dort wirklich zum katholischen Priester geformt zu werden.

Das war aber nicht der Fall?

Nein, leider. Oder doch nur zum Teil bzw. in einigen Dingen. Aber das Eigentliche, eben das „Sentire cum Ecclesia“, das doch den Priester erst wirklich ausmacht, ihn zum katholischen Priester macht, das ist uns nicht nur nicht vermittelt worden, das ist uns sogar verdorben worden. Man ist eben nicht katholisch, wenn man Papst und Bischöfe nicht ernstnimmt. Da hat die „Petrusbruderschaft“ mehr „Sentire cum Ecclesia“ als die „Piusbrüder“. Andererseits nehmen die „Petrusbrüder“ den Modernismus nicht ernst. Aber das tun die „Piusbrüder“ ja auch nicht.

Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Mitbrüdern?

Nein. Überhaupt nicht.

Keiner hat sich in den sieben Jahren einmal bei Ihnen gemeldet?

Keiner. Aber das ist normal so in der „Piusbruderschaft“. Ist ein Priester weg, dann fragt keiner mehr nach ihm. Was man dort gewiß nicht findet, ist so etwas wie „Bruderliebe“. Im Seminar war das noch anders. Aber unter den Priestern ist eigentlich jeder nur für sich. Es gibt manchmal Kumpanei mit pubertärem Gealber, auch die eine oder andere Freundschaft – die aber auch nicht hält, wie ich seit meinem Weggang erlebt habe, denn meine ehemaligen Freunde kennen mich nicht mehr. Im wesentlichen aber ist jeder auf sich gestellt und leidet alleine vor sich hin.

Meinen Sie denn, daß die Priester der „Piusbruderschaft“ alle leiden?

Die meisten auf jeden Fall. Ich habe zu meiner „Pius“-Zeit bisweilen Gespräche gehabt mit dem einen oder anderen Mitbruder, in denen sehr viel Unzufriedenheit mit der „Piusbruderschaft“ und Kritik an deren Führung zum Ausdruck kam. Mehrere Mitbrüder haben mir damals gesagt, daß sie die „Piusbruderschaft“ längst verlassen hätten, wenn sie eine Alternative wüßten. Aber davon dringt natürlich nichts nach außen. Nach außen halten alle still, eben weil sie Angst haben, sonst vor dem Nichts zu stehen. Ich glaube aber, daß es – wenn überhaupt – nur sehr wenige Mitbrüder gibt, die von der „real existierenden Piusbruderschaft“ überzeugt sind. Ich war es ja auch nicht. Ich hatte nur meine ideale „Piusbruderschaft“ im Kopf, der ich die Treue halten wollte – die es aber gar nicht gibt. Im Grunde dominiert das Parteidenken. So wie in der „SPD“ z.B., wo auch viele Mitglieder unzufrieden sind, aber wegen der Partei dabeibleiben.

Wie haben Sie die „Oberen“ der „Piusbruderschaft“ erlebt?

Oh mei…. Ich will ein kleines Beispiel erzählen: Am Gründonnerstag findet gewöhnlich im Seminar von Zaitzkofen die Ölweihmesse statt, und alle Priester des „Distrikts“ müssen dann dorthinkommen. Ich kam einmal etwas verspätet dort an, weil zuvor ich noch jemanden abgeholt und im Auto mitgenommen hatte. Die Zeremonie hatte bereits angefangen. Ich habe schnell meinen Chorrock angezogen und mich in die Bank begeben. Als ich nach der Ölweihmesse wieder zurückgefahren bin, hat mein Begleiter mir erzählt, er habe kurz mit dem „Distriktoberen“ gesprochen. Der hatte in der Zeremonie seinen Platz neben dem Bischof gehabt als Erzdiakon oder so etwas. Und er hat meinem Begleiter gesagt, er habe sich schon einen bösen Brief überlegt, den er an mich schreiben wollte, als er gesehen hatte, daß ich nicht da war. Zum Glück wäre ich ja dann noch gekommen… Jetzt frage ich Sie: Was ist das für ein religiöser „Oberer“, der in einer feierlichen Zeremonie neben dem Bischof amtiert, dabei aber nichts anderes zu tun hat als zu schauen, wer da ist und wer nicht? Und der sich dann, wenn er merkt, daß ein Priester nicht da ist, nicht etwa Sorgen macht, ob vielleicht etwas passiert sein könnte, sondern sofort sinistre Gedanken und Argwohn bekommt und in Gedanken anfängt, einen „bösen Brief“ zu schreiben – während der Ölweihmesse am Gründonnerstag! Da ist doch etwas massiv nicht in Ordnung, oder?

Naja, vielleicht nur bei diesem einen „Oberen“, oder?

Nein, keineswegs. Von seinem Nachfolger kann ich ähnliche Dinge erzählen. Als ich von ihm versetzt worden war und in dem „Priorat“, aus dem er mich versetzt hatte, das Faxgerät nicht mehr funktionierte, hatte er mich sofort im Verdacht, dieses Faxgerät vor meinem Weggang „manipuliert“ zu haben, und warf mir das unumwunden vor. Natürlich hatte ich mit der Sache überhaupt nichts zu tun, es hatte irgendeinen Defekt in der Telefonanlage gegeben. Aber ich frage mich, wie er auf so eine lächerliche und absurde Idee überhaupt kommt. In der Moraltheologie nennen wir so etwas ein „freventliches Urteil“. Derselbe „Distriktobere“ war auch sofort überzeugt, daß nur ich dahinterstecken konnte, als das „Karmel-Kloster“, in dem ich damals tätig war, sich von der Bruderschaft trennte. Er brauchte dazu keine Untersuchung, führte kein einziges Gespräch mit mir, ließ sich auch von einer Stellungnahme des „Karmel“ nicht überzeugen, sondern richtete seinen ganzen Zorn gegen mich, verleumdete mich öffentlich und betrieb meinen Ausschluß aus der „Piusbruderschaft“. Ausgerechnet wieder am Gründonnerstag war es, wo ich gleich zwei „kanonische Mahnungen“ auf einmal per Fax von ihm bekommen habe. Welcher Priester schikaniert einen anderen Priester ausgerechnet am Gründonnerstag? Sogar das Finanzamt kennt gewisse „Schonzeiten“. Nicht so die „Piusbruderschaft“.

Sind Sie also doch verbittert?

Nein. Ich lache darüber. Ich wollte nur zeigen, wie es in der „Piusbruderschaft“ zugeht, und das kann ich halt anhand meiner eigenen Erlebnisse am besten, weil ich darüber authentisch berichten kann. Es gäbe aber viele solche und ähnliche Beispiele, die von Mitbrüdern erlebt wurden. Es wäre ganz interessant, da mal ein kleines „Schwarzbuch“ zusammenzustellen. Aber natürlich wird kaum jemand bereit sein, sich öffentlich zu äußern.

Weihbischof Tissier de Mallerais soll inzwischen sehr krank sein und seine bischöfliche Tätigkeit nicht mehr ausüben können.

Bei Bischof Tissier de Mallerais wundert mich das nicht. Er war ja nie besonders gesund, immer so ein „Strich in der Landschaft“, und ich denke, daß er auch sehr gelitten hat. Nach seinem Ausfall und dem „Auswurf“ von Bischof Williamson wird es immer einsamer und sind es jetzt nur noch zwei aktive Bischöfe in der „Piusbruderschaft“, wobei Bischof Fellay jedenfalls auch nicht sehr gesund ist. Es geht halt abwärts.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der „Piusbruderschaft“? Denken Sie, daß neue Bischöfe geweiht werden?

Keine Ahnung. Über die Zukunft der „Piusbruderschaft“ sollen sich ihre „Oberen“ Gedanken machen. Mich interessiert nur die Zukunft der Kirche, für die ich arbeite.

Nun gut, und wie beurteilen Sie die Zukunft der Kirche?

Für die Kirche wird es in nächster Zukunft nicht leichter, sondern noch schwerer werden. Aber nach dem Leiden wird sie triumphieren, wie ihr Herr nach Seinem Leiden triumphiert hat: zuerst auf Erden, wie auch der Heiland sich vierzig Tage glorreich auf der Erde gezeigt hat, und schließlich auf ewig im Himmel, wohin der Heiland ihr vorausgegangen ist. Herr Pater, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.